Wie heilen die Seelen von Menschen? Die Künstlerin Anette Olbrich, neues Mitglieder der Ateliergemeinschaft im Werksviertel-Mitte, beschäftigt sich unter anderem mit sakraler Konzeptkunst.
Auf dem Rückweg vom Atelier des Neu-Siedlers Ralf Dombrowski im WERK3 begegnete ich dieser Tage im zweiten Stock gleich einer weiteren Neu-Siedlerin: Anette Olbrich. Zusammen mit Hong Yin Je ist sie gerade in das Atelier eingezogen, in dem vorher Magdalena Jetelova zugegen war. Mehr als fünf Jahre nach den ersten Künstlern der Ateliergemeinschaft whiteBOX, die als Neuankömmlinge mit Beginn der großen Baumaßnahmen das Werksviertel-Mitte als erste belebten, spürt man wieder eine gewisse kreative Unruhe zwischen Schiffscontainern sowie Neu- und sanierten Industriebauten.
Neue kreative Unruhe
Gerne werden Künstler ja als Kundschafter urbaner Trends angesehen. Der für das Kunstprogramm im Viertel neu geschaffene Begriff „Werksviertel-Mitte Kunst“ flankiert dabei einen Paradigmenwechsel weg von der Verwaltung und Registrierung der Kunst hin zu ihrer vermehrten Unberechenbarkeit. Der Kunstnomade, gewohnt daran, Nischen oder Risse in der städtischen Proliferation in Zwischennutzung zu nutzen, soll dies in Zukunft nicht mehr nur Überlebensstrategie für die Künstler sein, sondern eine Chance, der gesellschaftlich-künstlerischen Kritik den adäquaten Hintergrund und eine neue Sichtbarkeit im städtischen Raum zu geben.
Mit dem Habitat des Kreativen, respektive Kreatürlichen denkt man an Beuys, der mit dem Untergang in der grünen Bewegung zugleich einen Stepp-Punkt in der Zukunft der Kunstkartographie gesetzt hat. Für Anette Olbrich, die in erster Linie Installationen erarbeitet, ein wegweisender Einfluss. Nach Studien der Malerei bei Prof. Mansen, Kunstakademie Stuttgart, Grafik-Design an der FH München, Auftragsarbeiten, Kommunikationsdesign für Industrie, Verlags- und Universitätswesen, zeichnet sich bei ihr der Schwerpunkt „Sakrale Concept Art“ für Kirchenräume ab. Ihre aktuelle Installation „dictum“ hat wie Arbeiten zuvor Fragen der Heilung und der Reinigung zum zentralen Thema. Der sakrale Raum, die Kirche, ist nicht nur ein geeigneter Raum für solche Installationen, die Kirche selbst bedarf ja der Reinigung von den Altlasten der geozentrischen Metaphysik eines auf den höchsten Schalen des ewigen Lichts thronenden Gottes, hinabweisend zu einem Inferno und Purgatorio (Fegefeuer), das noch aus Dantes Zeiten nachwirkt.
Muss Strafe wirklich sein?
Eine Auseinandersetzung mit der Heilung der menschlichen Seele ist daher auch eine Auseinandersetzung mit der Heilung der Kirche. Die im Herzen des Katholizismus, in Deggendorf geborene Olbrich, konnte sich zum Beispiel daran erinnern, dass den Kindern im Religionsunterricht gesagt wurde, die Reinigung ihrer Seelen müsste mit Stahlbürsten geschehen. Hierzu beschreibt Peter Sloterdijk in seinem Kapitel 6, „Anti-Sphären“ des 2. Sphärenbandes das Dantesche Inferno als tiefenpsychologisch wirksame Depressionstechnik. „Das Vorstellungsbild des Höllischen saugt … ein Reservoir von Intuitionen in Depressionsleiden an, deren gemeinsames Merkmal ihre Unverhältnismäßigkeit (der Strafe, Anm. Autor) ist. Im depressiven Leid ist das Unvorstellbare das Glaubhafteste.“ Und weiter unten: „Dies bedeutet, dass in der Depression die Strafe vor der Tat kommt und die Verzweiflung vor ihrem Grund. Der Lebenslauf des Depressiven lässt sich deuten als einen Versuch der Verzweiflung, ihren Grund nachträglich herzustellen.“
Hände, die sich in Unschuld waschen
In der Installation von Anette Olbrich brummen leise zehn kreisförmige Bürsten vor sich hin. Angetrieben werden die Bürsten von Motoren, die durch Licht ausgelöst werden. In einem mittleren Kreismotor erscheint ein Video, das sich in Unschuld waschende Hände zeigt und mit einer klanglichen Plätscher-Meditation unterlegt ist. Wie öfter bei ihren Installationen fasst die Malerin ihr Thema dann noch einmal in einem Bild zusammen. Einzelne Stahlspäne gruppieren sich in auf einer Linie wie die Notenschrift einer Schmerzensmelodie: „Sounds of Pain“. Dem Betrachter schießt unweigerlich eine Frage durch den Kopf: Warum kennt die deutsche Sprache eigentlich kein eigenes Wort für Unschuld? Warum ist Unschuld lediglich die Negation von Schuld?
Mehr über die Künstlerin Anette Olbrich erfahrt Ihr unter www.olbrich-art.de.
Autor: Michael Wüst