Welche Orte braucht die Kunst? Nach fünf Jahren entwickelt sich das künstlerische Konzept in unserem Quartier weiter. Unter dem Namen „Werksviertel-Mitte Kunst“ werden neue Zugänge und neue Möglichkeiten der Teilhabe an Kunst entstehen.
Am 19. März informierte die künstlerische Leiterin Martina Taubenberger in einer Zoom-Video-Konferenz über die Zukunft der whiteBOX. Zum fünfjährigen Jubiläum des Projekts, das dieser Tage ansteht, hätte es sicher ein opulentes Programm gegeben, wäre da nicht dieses ausdauernde Virus mit seinem Mutationshintergrund. Der Titel der Pressekonferenz „und jetzt“ ließ einen bereits ahnen, dass der whiteBOX in ihrer Struktur als Kultur gGmbH organisatorische Veränderungen ins Haus stehen könnten. Neben Martina Taubenberger standen auf der Teilnehmerliste der Zoomkonferenz neben einigen altbekannten auch die Namen von Künstlern, von denen man bisher im Werksviertel-Mitte noch nicht gehört hatte. Es würde also irgendwie weitergehen.
Die Leiterin der whiteBOX verkündet einen radikalen Entschluss
Martina Taubenberger beginnt ohne größere Umschweife, ganz in der Frische eines noch jungen Entschlusses. Sie hat nämlich eine radikale Entscheidung getroffen: „Wir lösen uns administrativ von unseren Räumlichkeiten – Büro, Gastatelier, Ausstellungsraum whiteBOX und Flure.“ Ohne Ausblick auf Umsetzung, ohne terminliche und strukturelle Projektionen in der Pandemie seien personelle und betriebliche Infrastrukturen immer mehr erstarrt.
Daher erinnerte man sich mit an das ursprüngliche Motto des künstlerischen Konzepts – „whiteBOX, Raum für Entfaltung“ – und zog Konsequenzen. Die künstlerische Box soll sich nämlich künftig überall im Werksviertel-Mitte und darüber hinaus öffnen können – im Stadtraum, im rein digitalen Raum, im privaten oder gewerblichen Raum. „Der Gedanke, uns nicht an konkrete Räume zu heften, sondern an Themen und Diskurse, war eigentlich immer schon als Versprechen im Konzept der whiteBOX angelegt“, so Martina Taubenberger.
Vor dem Umdenken der künstlerischen Form steht der Diskurs: Was ist der künstlerische Ort?
Im Stillstand der verschiedenen Lockdowns, gepaart mit seinem enervierenden Lockerdown-Geruckel ist die Erkenntnis gereift, dass nur geschlossen oder lahmgelegt werden kann, was vom fixen Ort abhängt. Das in der Pandemie unbeeindruckt weiterwachsende Werksviertel produziert ständig neue Räume – auch vorübergehend Leerstände. Wie eine Aufforderung erschien da geradezu der Umstand, dass der überwiegende Anteil der Container an der Friedenstraße frei wurde. Hier sieht man jetzt ein Übergangsfeld für neue whiteBOX-Aktivitäten, die nunmehr unter dem Konzeptlabel „Werksviertel-Mitte Kunst“ herstellen, unter whitebox Kultur gGmbH firmieren und sich – sagen wir‘s mal überspitzt – dem Sonar der städtischen und staatlichen Maßnahmen leichter entziehen können. Ein bisschen Guerilla-Romantik ist nicht verkehrt.
Der Diskurs über die Begriffe geht in die Fundamente von neuen Räumen
Gesellschaftliche Tendenzen zur Ort- und Formlosigkeit konnte man in den letzten Jahren schon früh aus dem Trend von Begriffen wie „Plattform“ ahnen. Die Plattform hat kein Dach, ihre Elastizität lässt verschiedene temporäre Kultur-Herbergen entstehen. Der große Denker Peter Sloterdijk erkundete schon zur Jahrtausendwende in seinen legendären drei Bänden „Sphären“ die neuen gesellschaftlichen Interaktionen in Schäumen und Blasen.
Das Terrain dazu bereitete die IT-Industrie. In ihren Begriffsbildungen, die zu den Fundamenten ihrer Wirtschaftsarchitektur werden sollten, erwiesen vorpandemisch schon die Umstrukturierungen der modernen Technologien ihre Mimikrytechniken der Macht, – es ging weg von der Vertikalität der Top-Down-Struktur der großen Firmenführer über die verschleiernde Struktur der Firmenarchipele, zum vorerst größten Mythos, der Cloud. Dass jedoch selbst eine Cloud mitnichten ortlos ist, sondern sogar aus brennbarem Material bestehen kann, zeigte jüngst ein zerstörerisches Feuer beim führenden Cloudanbieter Europas OVHcloud in Straßburg. Ganze Datenzentren mit mindestens 12.000 Servern verbrannten. Millionen von Websites waren zerstört, in Rauch aufgegangen in der erdenschweren Cloud aus Glas, Beton und Stahl am Rheinufer.
Tarnzeit 2021. Über dem Wandel liegt ein Schleier
Mit Blick vom gegenüberliegenden Ufer der Kunst lässt sich der Paradigmenwechsel der whiteBOX in Richtung eines liquiden Managements auf jeden Fall nachvollziehen. Zumindest in einer Zeit, in der Räume der Entfaltung vom Gewicht politischer Maßnahmenkataloge erdrückt werden. Betrachten wir 2021 als ein Jahr des Übergangs, so wird es dennoch noch alle möglichen Monster gebären. Um es mit Antonio Gramsci zu sagen, es ist eine Zeit, in der das Neue noch nicht zur Welt kommt, weil das Alte noch nicht sterben kann. In 2021 wird die „Werksviertel-Mitte Kunst“ bei aller Unvorhersehbarkeit der Lage dennoch wieder Lebenszeichen senden und dabei auch auf bekannte Strukturen wie das Gastatelier und die whiteBOX zurückgreifen, die dem Werksviertel-Mitte als Räume erhalten bleiben.
Eine Übersicht über das bisher geplante Programm der Werksviertel-Mitte Kunst in 2021:
Den Anfang macht Robert Weissenbacher im Gastatelier mit „Aus dem Lockdown“ (30. April – 16. Mai).
Anschließend gibt‘s in der whiteBOX mit „The Future of Nostalgia“ ein Wiedersehen mit Çağla Ilk, die vor knapp vier Jahren die Ausstellungen „In Transition“ und davor „Fleisch und Stein“ kuratiert hatte (18. Mai – 27. Juni).
Am Ende des Jahres zeigt Angela Stauber, die wie Robert Weissenbacher zur Ateliergemeinschaft gehört, neue Arbeiten im Gastatelier. (9. November – 21. November).
Wieder im Gastatelier ist eine „d´mage Paper Residency“ mit der Künstlerin Franz Lyrch zu sehen. In Kooperation mit dem Goethe-Institut / Max Mueller Bangalore kommt die Künstlerin für die Zeit vom 1. Juli – 5. August nach München zum neuen Kunst-Container im Container Collective. BOXenstopp: 27. Juli
Vom 17. September bis zum 24. Oktober erstreckt sich über das ganze Gelände des Werksviertel-Mitte eine Urban Art Ausstellung.
Für die Zeit vom 15. Januar – 7. Februar 2022 ist das dritte Festival „Out of the Box“ geplant.
Weitere Infos: www.werksviertel-mitte-kunst.de/projekte/