Am Freitag, 23. August, lud die whiteBOX ein, im Gastatelier im dritten Stock des WERK3 über dem whiteBOX-Showroom im 2. Stock haltzumachen. Mit „BOXenstopp #1“ stellte sich ein neuer Kunstevent in Zusammenhang mit den zahlreichen Artist Residencies im Haus vor.
Hintergrund der neuen Veranstaltungsreihe, bei der wir Nadja Schöllhammer und Vivek Muthuramalingam bei der Arbeit besuchen und in Moderation von Martina Taubenberger befragen konnten, ist die große Ausstellung „Double Road“. Sie hat mit Gästen aus Bangalore (heute Bengaluru) im indischen Bundesstaat Karnataka im Juni und Juli 2017 gleichzeitig an drei Plätzen stattgefunden: im Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten, im MaximiliansForum und in der whiteBOX.
Auf Initiative der damaligen whiteBOX-Atelierkünstler Beate Engl, Christian Engelmann und Hermann Hiller von der Freien Klasse München hatte im Namen der bangaloREsidency das Goetheinstitut / Max Mueller Bhavan Bangalore eingeladen. Der Kontakt des Goetheinstituts zur High Tech-Metropole Bangalore besteht seit bald 15 Jahren. Goetheinstitut / Max Mueller Bhavan Bangalore ist zugleich präsent in Chennai, Kolkata, Mumbai, New Delhi und Pune. Mit der bangaloREsidency-Expanded, gegründet 2017, sind ebenso verbunden das Experimental Radio, München, das Lacuna Lab, Berlin, die Lichtenberg Studios, Berlin, die Schauburg, München, das Wisp Kollektiv, Leipzig, das Zentralwerk, Dresden und das ZK/U Berlin. Soweit das überaus imposante Netz.
Aber in den weiten Maschen dieses globalen Netzwerkes finden viele sehr persönliche Veranstaltungen statt, eine davon ist nun BOXenstopp. Die Nummer # 1, am Freitag in der whiteBOX, wurde bestritten von zweien, die sich noch nicht kannten und deren Arbeiten und Arbeitsweisen unterschiedlicher kaum sein konnten. Vivek Muthuramalingam aus Bengalaru ist Dokumentarfotograf, der auch mit einer alten Balgenkamera Ambrotypien herstellt.
Für diese Technik, die Ende des 19. Jahrhunderts die aufwendigere Daguerreotypie ablöste oder ergänzte, hat er sich in der Dusche des whiteBOX-Gastatelier ein Labor eingerichtet. Zwischen eigenen Texten hat er in kleinformatigen Serien Innenwelt- und Außenweltbilder als durchlaufende Bänder an der Wand oder auf Tischen angebracht. Die Außenwelt repräsentieren geografische und ethnografische Arbeiten, die in ihrer hermetischen Stille an Klaus Kinold erinnern, wenn der sich nicht nur der Architektur widmete, sondern deren Überresten in umgebenden Brachländern.
Und auch ein Fotoalbum von zuhause hat er mitgebracht, das Stationen einer ehemaligen Liebesbeziehungen zum Thema hat. Er fragt sich so etwa, wo bin ich und fern von wo? Aber dort, wo er jetzt ist, in diesem Zustand der Aufhebung, fühlt er nun eine neue Macht über seine Erinnerung. Daraus soll mit eigenen Texten ein Buch werden. „The sultry nights / where we lay next to oeach other / Spent and naked / The balcony ajar / … A film of moisture appearing / Over the rice fields / To which we gently close our eyes.“ Viveks Fotografien sind in Wall Street Journal, Gulf News, Sunday Guardian, Motherland Magazine, TimeOut, Al Jazeera, Domus India, National Geographic Traveller India, Huffington Post India, Caravan und Indian Express u.a. publiziert worden.
Von der Fine Art Print Manufaktur d´ mage, Berlin kommt die Papierkünstlerin und Zeichnerin Nadja Schöllhammer. Bei Papierkunst denkt man vielleicht an Origami. Aber was die temperamentvolle Schwäbin, die in Berlin studiert hat, in ihren Installationen an magischem Wildwuchs produziert, verblüfft, macht einen sprachlos. Papier muss bei ihr sehr geduldig sein: es wird geknüllt, getunkt, überschüttet, gestärkt, mit dem Skalpell zu feinadrigen fragilen Büschen geschnitten. Koloriert, bemalt und enorm vielseitig geformt.
Zwischendrin mögen Texteile auftauchen aus Fetzen, die sie auf der Straße gefunden hat. Im Gastatelier gefallen einzelne Versatzstücke, die bereits an einer Wand sich zu figuriern beginnen, wirklich sehr gut, aber bei der Präsentationen ihrer Installationen, an denen sie bis zu einem Jahr arbeitet, da bleibt einem die Luft weg.
Mit dem Skalpell läßt sie Geflechte entstehen, die anmuten, als hätte Leonardo ein erstes Mal ein Zwerchfell aus einem Toten herausziseliert, ein Nervensystem, Sehnen, Faszien. Körperinnenwelten aus Papier, die überwuchert werden oder gesäumt von magischen Ranken aus einer Unterwasser- oder Unterwelt. Nadja Schöllhammer verzaubert den Zuschauer zu einem Entdecker, einem Jules Vernes und einem Kind in seinen vergessenen, geheimen Gängen. Alles ist unglaublich dionysisch, verschwenderisch, eine Bühne. Ja, eine Bühne! Ein Bühnenbild, in dem Kolibris schwirrend die Texte sprechen. Texte von Rimbaud, von Baudelaire.
Bezaubernd, magisch und manchmal bedrohlich schön ist das. Welch ein Aufwand, welch kreatürliche Leidenschaft! Die Installationen, wie sollen sie erhalten werden, fragt völlig zurecht ein Gast? Gar nicht. Es geht nicht. Die Traumgewebe von Nadja Schöllhammer sind nur kurze Zeit in der Welt, aber dann für lange Zeit im Kopf. Oder waren sie eigentlich da vorher schon? Nadja Schöllhammer ist eine Zauberin. Fantastisch!
Text und Bild: Michael Wüst
Aufbereitung: Corinna Böck