Am 29. Juni 2019 feierte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) auf dem Gelände des Werksviertels Mitte sein 70jähriges Bestehen – mit einem großen Musikfest.
Am 1. Juli 1949 war dieses Orchester in der Landeshaupstadt durch seinen ersten Chefdirigenten Eugen Jochum gegründet worden. Acht Tage zuvor, am 23. Mai, war das Grundgesetz von der überwiegenden Mehrheit der Bürger in den Landtagen angenommen worden und dieses Datum gilt auch als der Beginn der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn es in Bayern zunächst Widerstand gegeben hatte. Der Bayerische Rundfunk, der bereits im Januar 1949 durch die Amerikaner lizensiert worden war, ist mit seinen drei großen Klangkörpern, dem BRSO, dem Münchner Rundfunkorchester und dem Chor des Bayerischen Rundfunks, stets ein Hort bayerischer Selbständigkeit geblieben, trotz der schnell einsetzender Strahlkraft seiner kulturellen Institutionen auf internationaler Bühne.
Schon ab dem frühen Vormittag sah man sie überall, die Leute des BRSO, die an diesem Tag im Werksviertel-Mitte den Frack und das Schwarze, gerne bei der Hitze, gegen Jeans und das BRSO-T-Shirt getauscht hatten. Ein großer Teil der 108 Symphoniker wuselte mit zahllosen Helfern über das Gelände, Harfen und großes Schlagwerk wurde geschoben, dazwischen Kamerateams und auch ein Ü-Wagen stand bei der NachtKantine. Schnell waren die Schattenplätze auf der Plaza mit Besuchern voll, die ihre Leporellos studierten, um sich einen Fahrplan durch die über 70 (!) Veranstaltungen zurecht zu legen. Welchem Geräusch sollte man folgen? Von der Kölsch Bar trötete es. Dort konnte man in der Schnupperstunde bei Uwe Schrodi die Posaune ausprobieren. Das hat offensichtlich auch Bernd Sibler, Staatsminister für Wissenschaft und Kunst gereizt. Immerhin, ein recht kräftiger Naturansatz, wurde bescheinigt. Treppen rauf und runter, schon wieder zu heiß. Also nahm man den Lift in die whiteBOX, um sich bei einer Fotoausstellung mit Zeitzeugnissen aus 70 BRSO Jahren abzukühlen.
Kinder hatten ihren Spaß beim Konzert des Musikkobolds Kikolino im ECKhaus. Die meisten zog es jedoch in die TonHalle, dort hatte sich das große Orchester aufgebaut und bereits ab 11.00 Uhr konnte man Konzertmeister Radoslav Szulc beim Proben zuschauen und zuhören. Selbst für den routinierten und musikalischen Connaisseur ist es ja immer wieder frappierend, nicht mitzukriegen, was der Dirigent da so an Mängeln moniert.
Später am Nachmittag wurde das Geprobte dann aufgeführt. Suggestion oder nicht, man hörte jetzt die Perfektion. Mächtige Akzente bei Yuzo Toyamas „Men´s Dance“ und bei „Valse triste“ von Jean Sibelius zeigten die Bässe, was sie drauf haben und wofür sie vielleicht spätestens seit Lorin Maazel auch bekannt sind: Es ist ein Klang, der tief im Nichts entstanden zu sein scheint, der schon lange da ist, bevor man ihn hören kann. Ein Klang, der wie die Spitze eines Bugs aus dem Nebel auftaucht.
Als Gruß an das neue Konzerthaus nebst Mariss Jansons und dessen diesbezügliches Engagement, versteht KP Werani, der als Klaus Peter Werani auch Bratscher bei den Symphonikern ist, seine Komposition #schonmalaufgedreht – BRSO goes east“. Auf der Rampe neben der whiteBOX erleben wir die Uraufführung des neutönerischen Werks. Unter den Gondeln des Hi-Sky treibt Werani starke Blechbläser mit den Konturen einer scharfen Piccolo wie ein klapperndes, sich zerlegendes und sich wieder aufrichtendes Klanggestell voran, wie eine Tinguely-Maschine. Etwas, das lange wie Sperrmüll auf dem Haufen gelegen hatte und sich nun zusammensetzt zur Groteske eines zerschossenen Transformers. Dass dem Schlagzeuger Christian Pilz am Anfang eine Stange scheppernd herunterfällt, macht gar nichts, in den Noten stand es mutmaßlich wohl nicht. Überhaupt war die Auswahl der Musiken sehr raffiniert und huldigte überhaupt nicht nur der Wiener Klassik und den romantischen Meistern. Manchmal brachte einen das „falsche“ Ambiente der altbekannten Musik sogar fast näher, so wie beim „Der Tod und das Mädchen“ im Gastatelier whiteBOX mit der Nüchternheit einer Verwaltungseinheit, oder es ließ einen schmunzeln wie bei Brahms Streichquartett Nr.1 in F-Dur in der NachtKantine mit seinem geschulten Personal, das in aller Ruhe während des Spiels weiter die Espresso-Filter in den Müll klopfte.
Von natürlicher Schrägheit waren auch die Konzerte beim Designer Sitzfeld: Einige sehr starke Duette wie Valérie Gillard & David van Dijk mit Ausschnitten aus Bartoks 44 Duos für zwei Violinen vor matt in die Tiefe rutschenden älteren Damen auf Conveniance-Garnituren in schweinsledernem Ton. Oder ganz toll, was man sicher nicht so oft hört, Susanna Pietsch & Frank Reinecke mit „Innere Wiener Straße“ von N. Richter de Vroe. So mancher Regisseur, der an den Weihezöpfen der Hochkultur gerissen, wie der verstorbene Christoph Schlingensief, hätte da seine wahre Freude gehabt. Es muss ja nicht alles zusammenwachsen, was nicht zusammengehört, wir sind ja auch nicht ein Volk von Kultur-Ministranten. Einmal war es dankenswerter Weise auch nicht nötig das Joint Venture von DJ´s, Hip Hop und Symphonikern zu beschwören. Eine tolle Mischung aus Geschmack und Kalkül und Frische! Schön, dass man auf höchstem Niveau auch die Beine baumeln lassen kann.
Text: Michael Wüst
Fotos: Ivana Bilz, URKERN 2019