Mit mächtigem Auftrieb hat am Valentinstag, Donnerstag, 14. Februar, das zweite große Musical im WERK7 Theater Premiere gefeiert. „Die fabelhafte Welt der Amélie“ lockte jede Menge Prominenter, für die in der TonHalle, die als Lounge hergerichtet war, unter anderem ein Red Carpet ausgelegt war. Im Blitzlichtgewitter Ralph Siegel mit Familie, Janina Hartwig („Um Himmels willen“) Anouschka Renzi (Tochter von Eva Renzi), Münchens First Lady Petra Reiter und Prince Damien (DSDS), der ausdauernd vor den Fotografen seine Sprungkraft zeigte.
Mit der verträumt introvertierten Welt der Amélie Poulain aus dem gleichnamigen französischen Kultfilm, der vor fast 20 Jahren auch in Amerika ein großer Erfolg war, holten die Musical-Produzenten von Stage Entertainment zum zweiten Schlag aus, um diesmal mit einer geradezu entgegengesetzten Atmosphäre die Münchner zu bezaubern.
Regisseur Christoph Drewitz und Bühnenbildner Andrew Edwards waren bereits bei „Fack Ju Göhte“, ebenfalls einer Filmadaption, verantwortlich gewesen für geniale Umsetzungen des klassischen Illusionstheaters ohne Hydraulik und Drehbühne. Das freche, hippe, charmant ordinäre Musical um Zecki, den geläuterten Knastologen, war vom Deutschen Theater Musical Preis als bestes Musical ausgezeichnet worden. Und hier war die 22jährige Sandra Leitner, die heuer als Amélie der Star des Abend wurde, bereits in der Rolle der Laura zu sehen gewesen.
Und wieder ist es dem Team von Bühne und Regie mit Raffinement und Charme gelungen den ganzen Raum, inklusive seiner steilen 700 Tribünenplätze zu verwandeln – diesmal in die fabelhafte, ganz andere Welt eines skurrilen Mädchentraums. Besonders die zweite Hälfte sollte zeigen, dass da ungeheuer viel passieren kann. Der Balkon im ersten Stock über der Bühne, mal Wohnung mit heimeligen Art Deko-Lampen, mal Teil des Bahnhofs Gare de l´Est, ist Ort des Musette-orientierten Wohnzimmerkonzerts von fünf Musikern wechselnd mit Keyboard, Cello, Klarinette, Schlagzeug und Kontrabass. (Komposition Daniel Messé, Yann Thierssen, Leitung Ratan Jhaveri)
Dann wieder wird der Balkon zum Hausflur. Amélie und Nino (Andreas Bongard), der seelenverwandte, bald geliebte Träumer begegnen sich, um einander gleich wieder zu fliehen und um an anderen Stellen wieder aufzutauchen. Entdeckungen, Verwirrungen, Schätze, Verstecke.
Der Maler Dufayel (Rob Pelzer) mit der Glasknochenkrankheit, der mit einem Fernglas in Amélies Richtung schaut. Er kopiert ein Bild von Jean Renoir immer und immer wieder, worauf eine Frau, die aus dem Bild schaut, ein Glas in der Hand hält. Er, der nie seine Wohnung verläßt, wird Amélie gut zureden: „Lebe deinen Traum“. In dieses Lied wird Sandra Leitner ihre ganze Kraft legen.
Auf der anderen Seite dieses Hausflurs wird nach der Pause plötzlich ein Ballett der Lauchstangen hervorbrechen, die sich an dem ungerechten Gemüsehändler Collignon (Stephan Bürgi) rächen. Das Gemüse wird von Amélie, wie man aus dem Film weiß, sehr ernst genommen. Lauch und Chicorée sind äußerst lebendig im Café Deux Moulins. Dort arbeitet Amélie ja mit ihren Kolleginnen als Kellnerin. Wobei wir jetzt auf der kleinen Szene unterhalb des Balkons angekommen wären. Das ist das Café Deux Moulins.
Amandine (Dorina Maltschewa), Suzanne (Christine Rothacker), Georgette im Tabakladen (Fleur Alders) und Gina (Kira Primke) haben im Leben schon schwere Breitseiten hinnehmen müssen. Treulose Hallodris (Gina) und erst die zahllosen Allergien, hervorgerufen durch den chronischen Mangel an Sex (georgette).
Amélie entdeckt, dekonstruiert und baut neu auf. Die Geschichte der Defizite ihrer Kolleginnen im reiferen Alter dokumentiert sich in Fotos, Briefen, Schnippseln und Fetzen. Das muss man nur richtig zusammensetzen, im Rückwärtsgang neu und netter fälschen und schon rappelts lustvoll auf der Toilette: Der Klempner (Janco Lamprecht) befreit Georgette von ihren Allergien.
Nun ist der schrullige Kosmos des Prinzessinnen-Altruismus – ausgelöst durch den tragischen Tod der Lady DI – außer Rand und Band. Zorroballette im Publikum, das Publikum eines ganzen Blocks hält Plakate hoch -ou, quand? – Amélie zaubert einen Irrgarten an Pfeilen durch das ganze Theater, hier, nein da. Nein, nein und es heißt doch ja. Man wird sich schon kriegen! Aber wie schön spielen und singen das die beiden: „Bleib“. Nein, ja, nein, ja. Der Triumph der naiven, großen Liebe, Tränen kullern aus Knopflöchern. Aber, oh Gott, wo ist der Vater und der Gartenzwerg? Elton John war auch da? Alle werden sie dann vorgestellt im Blitzlicht der Lichtregie. Auf einem Wirtshausstuhl. Das ist nämlich ein Fotoautomat. Der war nur kaputt: Wie immer, ein Kaugummi klebte unter der Sitzfläche. Auf dem Balkon sehen sich Amélie und Nino als Puppen (Stefan Fichert) tief in die Augen.
Text: Michael Wüst