Zweimal, am Samstag, 16. Juni, verwandelte sich das WERK3, erhob sich aus seiner liegenden Größe und streckte sich zum Leuchtturm. Ex Oriente Lux sollte es den Münchnern sein, die im Rahmen des FAUST-Festivals sich in der whiteBOX versammelten hatten und warteten, wie die gestrengen Wächter des Münchener Kammerorchesters, die an den weissen Wänden mit ihren Streichinstrumenten standen, beginnen würden.
In der Mitte des Publikums stand bereits incognito Dirigent Clemens Schuldt, als es schlagartig dunkel wurde und mit zahlreichen Videoprojektionen, die über drei Viertel der Wandflächen aufleuchteten, setzen die Streicher ein. Kurz, knapp, präzise. Die Videos führen mit der Subjektive des Kameraauges durch die Innereien von Gebäuden, hinaus auf das Gelände und wieder hinein, hinauf und hinab. Zur optischen Diagnostik einer Innenwelt der Aussenwelt der Innenwelt (Benjamin Jantzen, Licht- und Videokonzept) produzierten die Streicher des MKO ziehende Dissonanzen und Schwebungen, die etwas von dem Ächzen eines schweren Körpers hatten, der unter Druck gerät.
Am Notausgang gegenüber dem Eingang stand ein menschlicher Wegweiser, weiss maskiert, stumm – eyes wide shut. Man setzte sich in Bewegung, das Wandelkonzert der Komponistin Manuela Kerer in Kooperation mit den Trondheim Voices hatte begonnen. Zwei Sängerinnen tüdelten, flöteten, schnatterten da bereits, an Seilen von der Decke hängend, über unseren Köpfen, als wir die whiteBOX verließen und in die Schächte und Gänge des Gebäudes gelangten. Es hatte etwas von einer sinistren Heiterkeit, wie die Kulturherde jetzt durch die Töne und Geräusche der Trondheim Voices durchgeleitet wurde, immer wieder verstärkt durch die ausgestreckten Wegweiser-Arme der weiss Maskierten.
Klang, Licht und Bewegung durch den Raum (Mirko Hecktor, Regie und Asle Karstadt, Sounddesign) waren schlüssig und flüssig, impften der Herde Neugierde und Nervosität. Mehrfach ging es in die großen Aufzüge, rauf und runter, Cellistin oder Bratscher waren dabei. Eine Reminiszenz des Alltags machte Spass: die digitale Werks-Alexa, oder -Siri flötete weiterhin unbeeindruckt freundlich ihr „Türe schließt, Türe öffnet.“ Stimmt, das Reflexive kann man sich in der modernen Arbeitswelt sparen.
Weiter ging es durch monochrom rote Gänge, die zu Initiationsartigem Ernst zurückführten und dann in ein tageslichtdurchflutetes Treppenhaus, das im Kontrast nicht weniger surreal wirkte, zumal es auch den Blick auf brotzeitende Wesen der Außenwelt erlaubte – die in einem Aussen-Aquarium zu sein schienen.
Trondheim Voices zischten Beruhigungen oder Anweisungen. Denen begegnete man dann blinzelnd im Gastatelier der whiteBOX in größerem, geschlossenen Ensemble in Form eines schummrigen Feentreffs. Raunend und in klarer Harmonie. (Sissel Vera Pettersen – Musikalische Leitung Trondheim Voices) Ein minimales Licht wird in den Kreis der Feen gestellt und mit kleinen farbig leuchtenden Kuben führen sie uns wieder hinaus – Luziferinen, Lichtträgerinnen.
In den zweistöckigen Räumen der Agentur für Markenerlebnisse Avantgarde begegnen wir beiden Orchestern das erste Mal zusammen. Inmitten der Empore dirigiert Clemens Schuldt die Voices auf der Galerie und die Streicher zwischen den Computern. Und das erste Mal knallt es auch richtig. Ein eruptiver Tutti-Klang nach Gegacker, Geschnatter und ziehenden Streicher-Schwebungen. Keineswegs bedrohlich, nicht mehr verrätselt oder mystisch-magisch.
Lustvoll, sinnlich, zupackend. Kraftvoll, stringent und mit hart schlagenden 16tel-Akzenten dann das gesamte Ensemble noch einmal auf dem Dach bei Schafen, Blumen und Apfelbäumchen. Modern, romantisch, pastoral. Und unnachgiebig. Das ist der Epilog im Himmel, das Kernstück von Manuela Kerer. Tatsächlich ist da auch etwas Faustisches – im Himmel. Und das WERK3 leuchtete.
Hier einige Impressionen: