Bis Sonntag, 13. Mai, läuft in der Zündapp-Halle, dem alten WERK9 im südöstlichen Winkel des Werksviertels, noch die STROKE ART FAIR MÜNCHEN.
Kunst-Boom-City München! Denn nicht nur dort, in der ehemals größten Halle des alten Viertels zeigen Galerien, Plattformen und Sonder-Kollektionen Arbeiten der sogenannten Emerging Contemporary Art. Zusätzlich und zeitgleich, am 9. Mai, verbanden die Organisatoren Marco und Raiko Schwalbe mit der „Stroke“ eine mächtig gewachsene Frühlings-ARTMUC. So erklärt sich die Begriffsfindung des denglischen Gebildes „Kunst/Fruhling“, was wahrscheinlich etwas stylischer rüberkommt als Art/Frühling.
Mit der ARTMUC, die heuer neben der angestammten Praterinsel auch noch im Isarforum der Museumsinsel stattfindet, vernetzt sich ein geradezu unüberschaubares Angebot an Emerging Contemporary Art, dem notorischen Begriff, der die Öffnung von Kunst in alle Richtungen signalisiert. Dazu ein kleiner Zahlenexkurs: Beide Messen, als Leistungsshows der internationalen Urban Art, dürften sich mittlerweile der Besucher-Millionengrenze annähern.
2005 gründete sich die ARTMUC, 2009 die STROKE ART FAIR. Zwei Gründe werden dafür gegeben. Es gibt grundsätzlich keinen Kuratorenfilter. Aber wie man weiß, wo der Grundsatz, da die Ausnahme. Und natürlich ist da jener unvergleichliche Boom, der vor 40 Jahren von Eddings und Spraydosen in Brooklyn ausgehend, Stencil-Hipster Banksy, Jean Michel Basquiat oder Keith Haring in die White Cubes der Kunsteliten befördert hat. Deshalb prägen auch heute zahlreiche Galeristen das Bild der jungen Szene und im Hintergrund wirken sehr wohl Kuratoren.
Am 10. Mai, dem Tag nach der VIP-Eröffnung, prägte München ein „Tag“ im Social Media und auf den Straßen: „noPag“ führte zur größten Demo in München seit der Lichterkette. Die Veranstalter sprachen von 40.000 Teilnehmern. Jeder dachte, das wäre eine ernste Konkurrenz zu dem Kunst/Fruhling 2018. Weit gefehlt! In der Kunst-Boom-City München flanierten zwischen Isar und Werksviertel die urbanen Aficionados zu Hauf. Erst wenige Tage zuvor waren bei der Langen Nacht der Musik 400 Konzerte geboten gewesen. Auch hier profitierte das Werksviertel mit seinem reichen Angebot. Die Kunst selbst? Ist Emerging Art die Moderne, nach der Moderne und nach der Postmoderne? Wie wird sich das in der Zukunft der Kunstgeschichte lesen? Was man mit Sicherheit sagen kann, ein Understatement herrscht geradezu unerbittlich: das virtuose handwerkliche Können. Hochästhetische Perfektion zelebriert sich, verändert dabei die Ikonografie der Werbewelten. Die Gegenständlichkeit ist dramatisch präzise, gleichzeitig zitiert man und vermischt man die Techniken der Illusionen. Bei der Malerei reißt keine Kante aus, kein Strich fährt eruptiv aus der dekorativem Interieurwelt hinaus. Am weitesten entfernt ist man von den alten, neuen Wilden oder der Konzeptkunst.
Es ist heute ein handwerklicher Peak erreicht, der gewissermaßen die Schlachtenmalerei des 19. Jahrhunderts mit der Ästhetik der Warenwelt vereint, im Hintergrund aber wohl einen persönlichen seelischen Standpunkt elegant fließend, changierend einarbeitet. Stolz und Trotz liegt in den wohlgeformten Gesichtern und Körpern. Maga-Kitsch und Pagan-Illus dagegen, sind heute nicht mehr zu sehen. Der Japaner Kurihara komponiert aus urbanen Symbolen, Absperrungen, Trassierbändern, Schattenrissen von kindlichen Spielzeug-Dinos, Röhren, kommunizierenden Gefäßen, verdoppelten, aufklappbaren Figuren eine Stadtwelt, die an Hieronymus Bosch erinnert, ohne dass hier eine Apokalypse angedeutet wird. Und wenn es eine solche sein könnte – was durchaus auch gedeutet werden könnte – dann ist sie schick. Ein letaler Faktor mag ja vorhanden sein. Dazu tanzen die Stadt-Dinge einen farbenfrohen Apocalypso. Einfach wunderschön.
Bei „In Versuchung“ von Christoph Rode kann man ehrfürchtig nur mit Oscar Wilde bekennen: „Ich kann allem widerstehen, nur nicht der Versuchung“. Da denkt man unwillkürlich an Max Beckmanns Triptycon „Die Versuchung des hl. Antonius“. Oder ist da was vom Freischütz, respektive dem Black Rider von Tom Waits oder stand da er deutsche Mystizismus von Neo Rauch Pate? Na immerhin, die Jahn Galerie, die diesen Meister präsentiert, stammt ja auch aus Leipzig. Steve Uhlig von der Galerie will das eigentlich nicht so sehen mit dem Neo Rauch-Einfluß. Als ehemaliger Grafiker und Illustrator verfügt der in Berlin Geborene über einen chirurgisch präzisen Strich. Mit diesem entwirft er Landschaften mit seelischen Korrespondenzen. Die inneren Landschaften seiner Bilder gleichen der Versuchung, einen tödlichen Cocktails am Pool eines Sternehotels einzunehmen. Auch heiter ironischer Pop ist natürlich wieder zu sehen. Nicht direkt Popart, aber fluffig mit viele-bunte-Smarties-Pointilismus im Hintergrund, sind die Bilder des Münchners Edgar Zwigart. Am unteren Bildrand gruppieren sich Event-Poser der großen leeren Freiheit. Über ihnen ein Extasy-nettes Firmament. Besonders hervorzuheben auch Sebastian Hertrichs Skulptur „Jörk Brinkmann“. Die mannshohe grüne Skulptur ist komplett aus Bruchstücken von Computer-Platinen auf einem Holzgerüst angerichtet und dabei keinesfalls kantig oder brüchig. Eine seltsame, distanzierte Stille geht von dieser wohlgeformten Arbeit aus Computer-Bruch aus. So schaut er hinüber zu den sogenannten Kunstinteressierten, die es sich auf einer Couch vor einer Ausstellungswand, in die ein glanzpoliertes Modell des Sponsors Cadillac eingelassen ist, bequem gemacht haben.