Auch wenn die Baustelle im vergangenen Jahr 2016 rein äußerlich die Hauptrolle auf dem Gelände Werksviertel Mitte spielte, gab es auch jede Menge bedeutender Ereignisse im Inneren um TonHalle, Technikum und co.
Die TonHalle brachte durchschnittlich drei Konzerte pro Woche an den Start und das neue Technikum kam richtig in Schwung.
Anfang Juli präsentierte Kurator Benjamin Jantzen in der whiteBOX mit „Everything is a Remix“ die erste vierwöchige Ausstellung mit vielen Video- und New Media-Sonderveranstaltungen, rauschend eröffnete die Avantgarde im WERK3 und vor allem auf dem Dach und in der Container-City gab es das erste Mal mit Rohtheater ein neues Theater.
An drei Abenden mit Josef Hader im Technikum kam auch das Kabarett zu seinem Recht.
Zu den absoluten Highlights in der TonHalle gehörten sicher Massive Attack, die seit den Zeiten von „Mezzanine“, Ende der 90er Jahre, zu den Top-Acts schon im Kunstpark Ost gehörten.
Dass derartig hochwertige, hochkritische Gesamtkunstwerke zweimal hintereinander die TonHalle ausverkaufen, spricht auch für das Publikum. Die Lichtkunst der leistungsstarken LED-Wand stand zeitweise geradezu im Vordergrund.
Robert „3D“ Del Naja und Grant „Daddy G“ Marshall ist jeder Ego-Kult fern, sie standen im Halbdunkel und feuerten ihre Trip-Hop- und Black-Soul-Basslines in die Körpermitten, dazu monotonisierte einmal ein live mitgeschnittener Polizei-Funkverkehr auf deutsch. So etwas altert nicht, das ist junge, politische Kunst für alle Generationen.
Genauso überraschte und überzeugte Megadeth, das klassische Schlachtschiff der Big Four neben Metallica, Anthrax und Slayer. Die Bühne selbst war eine Metal-Belagerungsmaschine, innerhalb derer die Musiker wie Arbeiter ihre Handgriffe verrichten. Kräne rissen Häuser heraus, Stahl schmolz Zivilisation ein, es war ein einziges Maschinen-gewitterleuchten.
Das passte gut zum Abriss-Szenario draußen vor der TonHalle, wo die Fans bis kurz vor Beginn bis zur Grafinger Straße geduldig wie treue Diener der Zerstörung anstanden. Ein wohltuender Gegensatz zu den ewig anödenden Moving Lights, die wie man als Suchscheinwerfer einer verlorenen Rock-Ekstase aus den öffentlich rechtlichen Events kennt. Ein Fan hatte auf seinem T-Shirt „Helene Fischer Ultras“ stehen. Abgekoppelt oder abgehängt sind möglicherweise ja nicht die Menschen, die vor Endgeräten dösen, vielleicht sind es doch die Mainstream-Medien selbst, die ihre Situation von sich wegprojizieren möchten ins Fernseh-Volk.
Zu den Highlights im Technikum gehörte auch der Auftritt von San2 und seiner Soul Patrol als Support der hyperkinetischen Lucky Chops, die durch ihre Metro-Auftritte in Brooklyn via Youtube berühmt geworden waren. San2, bürgerlich Daniel Gall, hatte noch ein Jahr zuvor in der Nachtkantine gespielt und landete in diesem für ihn einzigartigen Jahr als Support von Jamie Cullum im großen Zelt auf Tollwood. Kein Zweifel, der „Solid Man“ hat einer internationale Karriere vor sich.
Ende Mai begann die neue whitebox ihr Programm mit einem Performance-Parcours über das Gelände mit mehreren Stationen, an denen auch Menschen erzählen konnten, die im Hintergrund für einen gelungenen täglichen Ablauf sorgen. So wie Bea aus Bosnien, die mit ihrem Mann Adil das wegräumt, was Junggesellenabschiede, zum Beispiel im Schlagergarten, so alles hinterlassen hatten.
Marko, als Maler verantwortlich für wunderbaren Kitsch hat den beiden für zuhause ein sechs Meter breites Bild gemalt, mit Hund, Boot, Strand und Meer. Und weil Alex, der Wirt der Nachtkantine, die beiden dieses Jahr nach Ibiza eingeladen hat, singt sie den Versammelten der Performance-Prozession ein Lied aus Bosnien.
In der ersten großen Ausstellung der Whitebox, „Everything is a Remix“, kuratiert von Benjamin Jantzen, fanden aufregende Sonderveranstaltungen statt. „Intruders“, ein 35 Minuten dauernder Film wurde von VJane Claire Fristot und DJ Swub live und improvisiert vertont.
Auf Grundlage von 4000 Filmen des französischen Nationalarchivs Centre CICLIC wurde remixed, montiert und geschnipselt. Die ländlichen und kleinstädtischen Privatdokus aus den 20er Jahre evozieren mit der Klangimprovisation äußerst befremdliche, geisterhafte Empfindungen über unbekannte Tote, die einst Zukunft waren. Eine melancholische Arbeit über die Zeit.
Ebenfalls in dieser Reihe, unglaublich charmant, das uns im allgemeinen völlig unbekannte Leben der türkischen Cinecittà „Yesilcam“ in Istanbul.
Wie die Pioniere des Kitsch- und Trashkinos der 60er Jahre ohne Geld und mit aberwitzigen Notlösungen versuchten, große Gefühle und großes Hollywood zu kopieren, zeigte „Remake Remix Rip-Off.
About Copy Culture and Turkish Pop“ von Cem Kaya und es offenbarte uns auch etwas Wunderbares: türkischen Humor.
In der Container City, die erst nächstes Jahr im März komplett eröffnet werden wird, gab es schon mal im November etwas zu erleben, was wir gerne etwas flach und unreflektiert als Subkultur bezeichnen.
Sei´s drum, was mit dem Rohtheater das Container Kollektiv und ihrem „Empire # 2“ im Container zu erleben war, war sowohl marketingtechnisch wie inhaltlich ein kulturelles Guerrilla-Meisterstück.
In einer performativen Metacollage bearbeiten Bülent Kullukcu, Dominik Obalski und Anton Kaun das von Slavoj Žižek als Versuch eines „kommunistische[n] Manifest[s]des 21. Jahrhunderts“ bezeichnete Werk des Literaturwissenschaftlers Michael Hardt und des italienischen Philosophen Antonio Negri, „Empire – die neue Weltordnung“.
Posthumanes Theaters nannte sich das und machte Lust auf Aufbruch. Highlights, von den „Helene Fischer Ultras“, die in Bataillonsstärke die TonHalle beim Metallkonzert in Besitz nahmen über großartige Videokunst bis zu den Geheimveranstaltungen des Container Collectives, eine Mixtur, die uns Schwierigkeiten macht mit den Begriffen Mainstream und Subkultur umzugehen.
Aber schön, dass manchem noch der Begriff fehlt, lassen wir die Schublade noch eine Weile zu…
Um auch 2017 kein Event aus TonHalle, Technikum und WhiteBox, um Kunst, Kultur, urbanes Leben und das Schalten und Walten in der Container City, zu verpassen, lohnt es sich, die Werksviertel München App einfach kostenlos hier herunter zu laden.