An drei Abenden (am Wochenende vom 26.-28. Januar) begeisterten die Chansons des Belgiers Jacques Brel das Publikum im Werk7-Theater bis hin zu Standing Ovations. Der Titel des Abends „Jacques Brel in concert“ irritierte ein wenig und doch bestätigte sich für jeden, der dabei war, am Ende, was mit dieser „Wiederauferstehung“ des für viele größten Chansonniers gemeint war.
Im Gegensatz zu literarischen Chansonniers wie Georges Brassens und Dichtern und Liedtextern wie Jacques Prévert eroberte sich der 1929 in Belgien geborene Jacques Brel schnell in Übersee und England eine große Fangemeinde. Mit dem 1968 im Village Gate, einem New Yorker Nachtclub, uraufgeführten Musical “Jacques Brel is Alive and Well and Living in Paris“ wurde Brel, der in der Folge in seiner internationalen Wirkung durchaus mit Marlene Dietrich zu vergleichen sein sollte, bereits zehn Jahre vor seinem Tod in die Sphäre eines unsterblichen Stars entrückt. Das Musical reiht in der Form einer Revue 26 Stücke aneinander, ohne die Dramaturgie eines Librettos nur zu versuchen, die meisten sind davon ins Englische übersetzt.
Der Abend im Werk7 theater, unter der Leitung von Ronald Sedlacek, der auch am Klavier sitzt, bleibt ziemlich eng an der Struktur dieser Revue. Diese gehörte nach anfänglichen Verrissen zu den drei Off-Broadway-Musicals mit der längsten Laufzeit und brachte es bis 1972 auch in größeren Häusern zu 1847 Vorstellungen.
Dementsprechend ist die Front in zwei Sängerinnen und zwei Sänger aufgeteilt, die alle vier in verschiedenen Blick- und Hörwinkeln den einen Jacques Brel im Ganzen verkörpern – in seiner Überwältigung durch das Leben und die Liebe, seines Hasses auf den Krieg und die blutgetränkten Felder Flanderns, seiner Verachtung für das Kleinbürgertum, seiner Liebe zu den Kindern und auch zum Rausch. Brels kompromisslose Selbstauslieferung an Zärtlichkeit und Zerstörung kann vielleicht auch kaum ein einzelner Interpret aushalten. Große Interpreten wie Michael Heltau, Klaus Hoffmann und Dominique Horvitz haben sich diesen kraftaufreibenden Gratwanderungen gestellt.
Ann Mandrella, Milica Jovanovic, Drew Sarich und Matthias Trattner teilen die emotionalen Gewichte unter sich auf. Sie verwenden ihre technischen Möglichkeiten der im Musical ausgebildeten Stimmen nicht, um Brüche und Schmerzen zu glätten. In einigen heiteren, satirisch getönten Stücken wie „Madeleine“, „Timid Frieda“ (Les Timides) oder dem tausendfach sich drehenden Walzer der Chaos-Hymne „Carousel“ können sie im Arrangement von Ronald Sedlacek mit Stefan Först am Bass und Christian Ziegelwanger am Schlagzeug mehrstimmig Musical-Glamour herabflimmern lassen. Kleine Choreografien, Parodien und Duett-Intermezzos in Verbindung mit einer akkuraten Lichtregie lassen den Hauch einer großen Schein-Welt herein. Hier brillieren Milica Jovanovic und Matthias Trattner (ebenfalls in „La statue).
Aber Schwerpunkt bleibt der dramatische Brel. Das zeigt gleich zu Beginn die in Besançon geborene Ann Mandrella. In „Le diable“ (Ça va) erklimmt sie, bei leisem Beginn mit wohldosiertem Vibrato Stufe für Stufe bis zum Gipfel des heroischen Zorns. Besonders anrührend ihre Versionen von „Marieke“ in flämischer Sprache und „Sons of“ (Les fils de). Aber nicht zu übertreffen, in einer stilleren Tiefe der Verzweiflung, eher zurückgenommen, ohne dickes Drama, fast wie ein verratenes Kind: „Ne me qittez pas“.
Drew Sarich, neben ihr, ist groß in seinen Rollen als gaukelnder „Jacky“ (La chanson de Jackie) zusammen mit Malica Jovanovic als Tod in „My Death“ (Le dernier repas) und er ist überragend in „Amsterdam“, am Ende des ersten Teils in einem Malstrom, der den Betrunkenen in den Abgrund reißt, klug korrespondierend gesetzt zu „Carousel“ am Ende des Abends, einem Wirbelwind in sauerstofflose Höhen, zu einem lebensgefährlichen Höhenrausch. Formidable! Fascinating!
Autor: Michi Wüst