Letztes Jahr, als das KLANGfest das erste Mal auf dem Werksviertel-Mitte stattfand, kamen die ersten Besucher mit Anoraks. Heuer, zwei Tage früher im Jahr, am Samstag, den 9. September 2023, wurde es ein strahlendes Sommerfest!
Und obwohl wahrlich einiges in der Stadt geboten war und manche meinten, es würde mit knapp 30 Grad zu heiß werden, der Knödelplatz mit der Open-Air-Bühne war am Ende knackvoll. Zur Erholung boten die drei Bühnen, Technikum, NachtKantine und WERK7 theater zwischendrin Abkühlung mit reichem Programm.
Mit bayrisch-brasilianischem Sound startet die Klangfestrakete
Los ging´s mit Bavaschôro aus Unterbiberg, dem Zentrum der bayrischen Weltmusik auf der Open-Air-Bühne. Die Himpsl-Brüder Xaver Maria (Flügelhorn) und Ludwig Maximilian (Horn und Perkussion) haben auf der gleichnamigen CD den „Chôro“, einen brasilianischen Vorläufer des Samba, mit Hilfe der Gitarristen Henrique Miranda de Rebouças und Luis Maria Hölzl zusammengebracht. Schuld war auch hier wieder einmal der Jazz-Trompeter Claudio Roditi gewesen, der insgesamt für die musikalische Entwicklung der fünfköpfigen Familie so wichtig war, wie mir der Vater Franz Josef Himpsl stolz erzählte. Xaver Maria am Flügelhorn hat einen smoothen Ton und phrasiert modern und sehr elegant, dass man an Clifford Brown denken muss. Die Gitarren legen einen unbezwingbar ruhigen Groove-Teppich bei Stücken mit großer Dynamik („Assanhado“) und gelegentlicher Melancholie (Santa Morena). Was für ein souveräner Auftakt!
Schnell in die Nachtkantine zum Singer-Songwriter, bevor es rübergeht zu Liver of a Duck ins Technikum, wo es was auf die Ohren geben sollte. Ryan Inglis in der NachKantine ist ein hochgewachsener Englishman, der mit kräftiger Stimme klassisch und überzeugend von den Fährnissen des Lebens berichtet. Aber muss da ein Rhythmus-Automat wirklich dabei sein?
Es ist noch ein bisschen Zeit für ein Warm Up des Frontmannes Flixbus 451, weil irgendein Sample vom Drum-Computer Dörnie Freybiers noch nicht vollgeladen hat. An der Bühnenkante sind Plastikenten in allen Farben aufgereiht, die Metall-Unterhalter aus Freising tragen sämtlich schwarze Anzüge, weniger passend für eine Abendgesellschaft, sie wirken eher wie frisch zurück von einer Beerdigung. Dann ist die Schießbude startklar und Flixbus 451 verwandelt sich umstandslos in einen beißenden Brüllwürfel. Den Enten haut´s die begehrte Leber raus, was will man mehr? Dickes Brett.
Jobassa, ein aufgeregtes Rotkehlchen mit violettem Schopf ist beeinflusst unter anderem von Ariana Grande, wird uns erklärt und verbindet Pop mit Electronic, R´n´B und viel Gefühl. Vor allem mit viel digitaler Technik, die nicht richtig startet. Sie hat außerdem ihre Backing Vocals in Köln zurücklassen müssen und übt deshalb im hin und her Hüpfen auf dem Bandstand mit dem Publikum einen Refrain ein: „…on my mind“. Dann klappt alles und wir erfreuen uns an gut gemachtem Girlie-Pop, in dem man allerdings Spuren von R´n ´B vergeblich suchen dürfte.
Abkühlen bei gepflegter Weltläufigkeit im WERK7 theater
Erste kurze Hörprobe im WERK7 theater: Café Voyage fängt gleich zu Beginn perfekt die gelassene Weltläufigkeit des Paolo Conte-Hits „Via con me“ (It´s wonderful) ein. Günter Renner (Gitarre, Gesang) erinnert mit den eigenen bayrischen Texten („Gema, gema viere, gema weida“) an eine gerade in diesen Tagen manchmal untergegangene „Toleranza Bavariae“. Maria Friedrich (Cello, Gesang), mit wunderschönem Ton am Cello pointiert mit viel Swing-Feeling.
Derweil absolut tiefenentspannt, schräg gegenüber in der NachtKantine: Samuel Heinrich an einem perkussiv mit den Händen gespielten Instrument in der Form eines überdimensionalen, umbrafarbenen Blechkreisels, der im Schneidersitz auf den Beinen ruht. Das „Aufschlag-Idiophon“, mit dem Namen „Handpan“ und einem gewissen Dritte-Welt-Image sieht man immer öfter bei Straßenmusikern. Es ist aber alpiner Herkunft. Das von Samuel Heinrich kommt aus Bern. Er spielt es auf den verschiedenen Klangflächen, ähnlich wie bei einer jamaikanischen Steel Pan, beidhändig mit vier soften Vibraphon-Schlegeln. Es bieten sich enge Akkordführungen an, die durch den natürlichen Nachhall langsam in der Tiefe des Raumes verschmelzen zu einem komplexen Klangerlebnis.
Jetzt aber noch einmal ins schattige WERK7 theater
Gerade noch rechtzeitig vorne in die erste Reihe zur Anmoderation von Ralf Dombrowski gedrückt. Wie schon letztes Jahr ist der großzügige und doch sehr konzentrierte Raum sehr gut besetzt, und es erwarten uns in der Folge drei Jazz-Acts der Sonderklasse. Den Anfang machen Andrea Hermenau (Klavier, Gesang) und Carolyn Breuer (Sopran- und Altsaxophon), die seit fünf Jahren zusammenarbeiten und hier von Ralf Dombrowski als veritable Vertreter der „Art of Duo“ vorgestellt werden. Ihr Stück „Schwalbentanz“ verwandelt den Blick in den weiten Himmel, nur durchkreuzt von den zackigen Linien der Vögel adäquat ins Musikalische. Man denkt an einen ähnlich großen Moment: „The seagulls of Kristiansund“ mit Mal Waldron (Klavier) mit Steve Lacey (Sopransax).
Siiri rockt den Knödelplatz
Mittlerweile hat die Hitze ihren Höhepunkt erreicht und die Sonne knallt auf die Open-Air-Stage, wo Siiri ihren Blondschopf zu den mächtigen Breaks ihrer Band herumwirft. Wie gibt´s denn das? Das klingt ja wie „Sweet Home Alabama“! Vorne, das Mädel aus dem Sauerland, das mit ihrer CD „Independence“ bereits für Furore gesorgt hat, hat alles im Griff, she is really born a rolling stone. Was für eine Kraft in der Stimme, was für eine unbändige Lebenslust! Americana-Einflüsse? She´s got all that Americana! Dabei verleugnet sie ihre Roots in keiner Weise. In stillen Songs wie „Rain is falling“ überquert ihre starke Stimme dabei auch mal die Brüchigkeiten des Lebens. Sie ist schon sehr weit. Hoffentlich bleibt sie weiter fest auf dem Boden in ihren Stiefeln!
Absolut frisch geht´s auch zu bei Falschgeld, der ehemaligen Schülerband vom Ammersee im Technikum. Jona Volkmann (Leadgitarre, Gesang) hat gerne eine Art Morgenmantel um, in dem er mit heftigen Sprüngen und harten Riffs die Band vor sich hertreibt. Reggae-Oi-Rock mit dem jungenhaften Charme eines Westernhagen. Am Königsplatz haben sie auch schon vor 40.000 Zuschauern gespielt. Heuer haben sie bereits den Wettbewerb „Running For The Best“ gewonnen.
Rebellen aus dem Chiemgau mögen keine Laptop-Lounges
Im Endspurt gestreift: Die Wolfgang Lackerschmid Connection im WERK7 theater. Die unglaublich reiche Musikergeschichte des Vibraphonisten geht zurück bis zu Begegnungen mit absoluten Legenden des Jazz wie Chet Baker. Im Werk7 Theater begeistert das Quartett modern-brasilianisch. Mit ihrer Version des Clifford Brown-Stücks „Alone Together“ schließt sich ein Kreis, der am Anfang des Tages mit Bavaschôro begann. Bei Heischneida aus dem Chiemgau kocht es noch einmal auf dem Knödelplatz. Der Wenz, ein Kraftakt zwischen Bierzelt-Punk und Alpenrevolutionär, „Hirn und Zunge“ der Band, lässt die Wortfetzen rappeln. „Zwischen Glasscherm und Bluad hamma danzt.“ Die Trompeten Ghettoblastern im Off-Beat dazwischen und aus der nicht enden wollenden Schlange der Party-Adepten für das AAHHH drehen sich verwundert indignierte Köpfe Richtung Bayern-Mob. Der Wenz hat jedenfalls eine „Wuad“. Aber alles halb so „wuid“. Am Ende intonieren IRXN ihre wunderschöne Assemblage bajuwarischer und keltischer Musik auf der Basis des genialen Klanges von Lindas Geige mit der Mandoline von Bernie M. Schon bei ihrer Version von „Dirty old town“ zum Soundcheck wird einem ganz warm ums aufgeregte Herz.