Mit „Human Touch“, dem zweiten Kompositionsauftrag des diesjährigen Festivals „Out of the Box“, fand nach „Babel – A Ballett of Signs“, tief im Autosaal unter der Atelierstraße, das zweite Main Event der Festivalreihe – diesmal im WERK 7 theater statt. Wie bereits bei den beiden vorangegangenen Festivals sind die Organisatoren mit Martina Taubenberger an der Spitze stets um die extravagantesten Spiel-Räume bemüht.
Das Theater WERK 7 theater lässt sich mit seiner hoch aufragenden Dreiviertel-Tribüne sehr gut auf die Spielfläche konzentrieren. In der Mitte stehen die beiden Flügel des Pianisten und Komponisten Ralf Schmid, der bereits mit „Pyanook“ (2019) und „Digitale Poesie“ (2020) und seinem Projekt der „Digital Augmented Reality on the Grand Piano“ auf den Vorläufer-Festivals aufgetreten war. Links und rechts, weiter oben, sind die Sängerinnen der „Trondheim Voices“ positioniert, die Streicher und Streicherinnen des O/Modernt Orchestra haben sich weiter unten im Freeze verteilt, teilweise mit heraldisch vor den Körper gehaltener Geige oder Bratsche.
Exposition atonaler Klänge
Die ersten Klänge, angestoßen durch karge melodische Kürzel von Ralf Schmid am „sauberen“, nicht präparierten Flügel, werden von den „Trondheim Voices“ ausgebaut in zarten, aber sehr bestimmten Klanggestalten, die den Raum öffnen, indem sie ihn umschließen. Gefesselt von den klar transparenten Navigationen in schwierigen übermäßigen Akkorden mit alterierender Sieben, vermisst niemand, wirklich niemand eine digitale Sensation. Das ganze Intro ist eine hinreißende Exposition des analogen Klangs. Einer derartigen Schönheit hinkt noch heute jeder Synthesizer hinterher. Anschließend bieten die Streicher mit sehr leisen Grundtönen, die fast holzig klingen, weiteres Baumaterial an.
Auftritt der digitale Demiurg
Nun ist es aber genug im digitalen Olymp. Ralf Schmid hatte sich ein wenig verschämt die magischen Datenhandschuhe angezogen und mit heroischen Armbewegungen injiziert er jetzt den Streichern und Streicherinnen, die sich in den unteren Reihen ins Publikum gemischt hatten, die geballte Akzentkraft. Jetzt verfügt er – wieder eingeleitet durch die „Trondheim Voices“, über den richtigen „Honk“, einen powervollen Ostinatobeat aufzubauen, ein packendes „Room to move“-Feeling. Das ist so „steady“, dass sich der Komponist gefragt haben mag, wie werde ich das wieder los? Immerhin wird der klassisch ausgebildete Musizierende es nicht zulassen können, sich an nur an einem Erzählstrang aus der Exposition abzuarbeiten. So bilden sich nun unter der mächtigen Schlagzahl mehrere Stränge, die sich ineinander verdreht, chromatisch in die Höhe schrauben. Die chromatische Bewegung, ein Merkmal des Turnarounds, wozu führt sie aber? Zur Krone eines dunklen Clusters, aus dem die Tonika wieder entsteht? Nein, in der Höhe erscheint kurz etwas, wie ein illusionäres Gebilde, das wie eine Seifenblase zerplatzt. Atonaler Fall Out sinkt herab. Die „Trondheim Voices“ sammeln wieder ein.
Eine Genesis in der Schleife
Die tonale Genesis beginnt von neuem. Die omnipräsente Forderung der Produktion des „und dann“ wird zurückgewiesen. Die Herkunft des Tons ist das Thema, die Komposition unterwirft sich nicht oder nur exemplarisch der Maxime der Produktion, der Verdichtung und letztlich der Konsumption – im üblichen Sinn. Er hat ja die „Voices“ für den Wiederaufbau. Da wirkt es fast komödiantisch, wenn Digi-Zeus sich vor den Erdlingen aufbaut und machtvoll mit den Zauberhandschuhen die Klänge hin und her wirft über die ganze Breite des WERK 7 theaters. Auch seine Exkurse am digital präparierten Klavier, stets begonnen mit brachialem Schöpferfleiß, führen in Momente des kreativen Scheiterns im besten Sinne.
Die „Palliativ-Station“ Gesellschaft
Wo Dramatik angelegt wird, gar romantische Plattenverschiebungen sich andeuten, rutscht unversehens die ganze Heroik in ein kompositorisch aufregendes Gemisch aus Boogie und Blues-Strukturen. Gegen Ende gerät sogar die ganze Station der weißgekleideten Musiker in Disco-Stimmung. Bunte Moving-Lights vergangener Zeiten kreiseln durch aufkeimende Lebenslust. Auch das zerfällt. Die Palliativ-Station „Gesellschaft“ hat keine Disco. Vorsichtig zieht Ralf Schmid seine Datenhandschuhe aus. Mit zarten Melodie-Kürzeln und den wunderbaren Inflationen der Voices ist man zurück auf Anfang, beim Anfang. „Human Touch“. In Zeiten, in denen die technologische Entwicklung vom Menschen fortgeschritten ist, wirft sich eine Dialektik auf im Feld von „Metaverse“, Managern mit VR-Brille und Menschen, die nicht einmal ein Dach überm Kopf haben.
Als nächstes die Riesenradoper
Den fulminanten Abschluss des Festivals „Out oft he box“, könnt Ihr übrigens am Freitag, den 5. August wieder an einem besonderen Platz erleben: Die dritte Uraufführung wird das Publikum auf den Platz vor der Mariss Bar bitten. „Die Riesenradoper Umadum“ wartet mit dem für das Gelände außergewöhnlichsten Ort für ein Orchester auf: Das OrJazztra des Komponisten Christian Muthspiel und die Sänger und Sängerinnen werden dann auf die 27 Gondeln des Riesenrads verteilt sein.