An diesem trüben Tag traf ich beim Riesenrad Umadum, das wie das Schaufelrad eines Dampfers stoisch das Nebelgrau umzuwälzen schien, den Graffitikünstler und Illustrator STEM. Im eisigen Wind waren seine Finger so klamm geworden, dass er sich erstmal aufwärmen musste, bevor er mir auf dem Handy eine Nummer heraussuchen konnte. Passend gab es auch noch Bad News vom Brother Virus.
Das hat aber Künstler und Aktivisten, die sich aus der Pariser Straße 13 in Haidhausen kennen, nicht abgehalten sechs wunderbare, hochartifizielle Bauzaunerzählungen an diesem Novembertag dem Werksviertel zu übergeben – „Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V.“ , so der Titel dieser Initiative, gefördert vom hiesigen Kulturreferat. Ihre reichen Wandbilder, bereits das sechste Mal in München, sind „Respuestas de colores“, Farbantworten, die uns auffordern, dafür erst recht die Fragen zu stellen zum politischen und sozialen Ungleichgewicht zwischen Norden und Süden, global gesehen.
©URKERN2021 / Michael Wüst
Respuestas de colores sind künstlerische Antworten Süd- und Mittelamerikas, die uns dazu bringen die Fragen nach der Verantwortung zu stellen
Hier ausgehend von Chiapas, dem südlichsten Bundesstaat an der Grenze zu Guatemala, benannt nach dem Volk der Chiapa. Auch auf die Kultur dieses Volkes wollen die Compas hinweisen. Teilt es doch das Schicksal aller indigenen Ethnien Süd- und Mittelamerikas: bis an die Grenze des Ethnozids gepeinigt worden zu sein von Konquistatoren und Kolonisatoren, und heute gebeugt und ausgelaugt durch wirtschaftsimperialistische Extraktionen von Natur und Mensch.
©URKERN2021 / Michael Wüst
Die sechs Wandbilder in Reihe bilden ein erzählerisches Band, voller Bezügen auf Ursprungsmythologien der Völker, Kosmogonien, Geburten der Welt, neueren Kulten und synkretistischen Religionen. Halbgötter und Trickster wie die „Barone“ und „Ogune“ kennt man nicht nur in Haiti, auch hier in diesen Bildern werden die „Orishas“ der kubanischen Santeria zitiert oder finden sich auf Altären, ähnlich einem Bahianischen Candomblé.
©URKERN2021 / Michael Wüst
Die Bilder, gesprayed, mit Pinsel und Acrylstift stark verfeinert und äußerst detailreich, entstanden partizipativ unter der Anleitung von Sergio „Checo“ Valdez Ruvalcaba, Medienwissenschaftler und Professor an der „Universidad Autónoma Metropolitana“ (UNAM) in Mexico-Stadt. Als Lehrer mit dabei Jorge Hidalgo aus Kolumbien, Xochitl – Edelweis-Santiago aus Mexico und Stem, bürgerlich Fabian Bertler aus München, bekannt durch seine fantastischen Glas-Graffiti.