Das Bühnenbild gibt Rätsel auf. Im WERK7 theater, das technisch wirklich sehr viel kann, stehen frontal eine ganze Reihe von Strahlern am Boden und links und rechts zwei Batterien von ebensolchen Strahlern auf Stativen. Das Zentrum der zu erwartenden Szene ist beherrscht von einer hölzernen, offensichtlich zusammengesteckten Konstruktion, die vielleicht etwas hat vom Skelett eines gestrandeten Fisches.
Bis zum Beginn der Vorstellung wird mehrfach mit Disconebel eingenebelt, den kurz vor der Vorstellung zwei Männer mit den Rockschößen ihrer militärisch anmutenden Kostüme zusätzlich verwedeln. Die zwei Protagonisten, das wird schnell klar, sind auf dem Meer auf der Flucht. Sie sind als Krieger oder Soldaten auch Flüchtlinge, die Paddel werden auch als Gewehre umgehängt. Das skelettartige Boot kann sich auf dem Bühnenboden auf Rollen unter den einzelnen Elementen bewegen.
Lukas Ullrich ist Christ, Till Florian Beyerbach Moslem. Der Text, den sie sprechen, erscheint wie herausgefischt aus dem Wasser. Sie werfen sich in schnellem Hin und Her die Fragmente, die Fetzen, die eigentlich stummen Zeugen einer vorausgegangenen Katastrophe um die Ohren. Das ist eigentlich ein prima Ansatz: Aus den Trümmern lesen. Sind es die Trümmer der politisch epistemischen Verfasstheit des Westens, also die Trümmer einer universal behaupteten Staatsvernunft seit der Aufklärung und den Deklarationen der Menschenrechte? Oder liegt hier im Meer der begrifflichen Auflösungen nicht das, was sich in der Selbstgewissheit Europas, im Besitz der einzigen Freiheit zu sein, bereits abgenutzt hat in den medialen Mantras der eitlen Selbstbespiegelung? Einer Demokratie, deren Freiheits- und Gleichheitsbegriff vom politischen Epistem zum Narrativ der Talkshows degeneriert ist?
Das kann man sich alles fragen bei diesem Entwurf eines Theaterstücks „auf der Flucht“ und das ist gut. Obwohl, wie faktisch zu entnehmen ist, der eine Christ und der andere Moslem ist, erringen beide keine Identität, die eine sinnliche Anteilnahme erzeugen würde. Sie sind beide eigentlich nur Lautsprecher eines (ehemals) kompletten Textes, dessen beispielhafte Bruchstücke offensichtlich einen didaktischen Effekt herbeiführen sollen. Das lässt eine Auseinandersetzung mit dem Islam und auch mit dem Christentum oder eine atmosphärische Annäherung nicht zu. Man fischt im Trüben des narrativen Common Sense.
Das wird durch die Tatsache, dass die sinnlich uneigentlichen Figuren auch mal zu bösen Kapitalisten werden, die Länder entvölkern wollen, um sie billiger erwerben zu können, wie auch zu „Kommandantes“ oder Warlords, die im Grunde dasselbe wollen, nicht besser, zumal beide bis zuletzt an ihrem Gott festhalten wollen – nur festhalten, aber auch nicht mehr. Aber bei aller Schwierigkeit dieses kaum fassbare Thema zu meistern, „Nach Europa“ hält Fragen wach. Auch Fragen, deren Beantwortung nicht schon im Vorhinein feststeht.