Wer regelmäßig in seine lokalen Veranstaltungskalender schaut – und das hatten offensichtlich viele getan, wie man beim gut besuchten Konzert der Gruppe „Mono“ im Technikum Ende Mai feststellen konnte – der sah nur den Namen der japanischen Band angekündigt. Doch die Fans wussten es: Zum sogenannten Main-Act gehörte ein zweifacher Support. – Nicht in dem Sinne des althergebrachten Rock-Rituals `Vorband-Headliner. Mit Nordic Giants, GGGOLDDD und Mono stellte sich eher ein Mini-Festival rund um den Begriff Postrock dar.
Den Fans und den Protagonisten mag der Begriff Postrock gleichgültig sein oder sie finden ihn unzutreffend, aber denen, den die Impulsivität dieser Musik gefällt, ohne zu wissen warum, mag es helfen. Das gilt für die Deutungssucher wie fürs Marketing. „Breitwandsound“ klangliche Cinematoskopie, darauf hat man sich geeinigt.
Mono, 1999 in Tokio gegründet, die 2001 mit „Under The Pipal Tree“ aufhorchen ließen, auch da ist man sich einig, gingen von vornherein nicht so vor wie etwa „Chemical Brothers“, die am Ende ihrer Lufthoheit über die Dance-Floors immer weiter rockige Elemente mit synthetischen Elementen lediglich zusammenrührten. Der Sound von Mono entspringt eher einer klanglichen Mitte, deren Elemente unbändig und umgehend zu den Rändern der Wahrnehmung enteilen, urwüchsig und auch nicht auf den Ursprung zurückzudefinieren. Mono ist wie ein seitlich sich verbreiterndes Gewächs, Flechtenartig wuchernd.
Im Technikum machen den Anfang die Nordic Giants. Ihr Bühnen-Arrangement als Ganzes hat nichts mehr mit einem Front-Act der Rockmusik zu tun, eher passt das zum Performance-Prinzip der Bildenden Kunst. Den Start signalisiert der Count Down auf einem zentralen Screen, auf dem hinfort Filme laufen. Flankiert wird der Screen von den beiden anonymen Instrumentalisten Loki und Rôka. Die beiden Engländer in der Verkleidung totemistischer, gefiederter Nebengottheiten werden nicht frontal beleuchtet, einzelne matte Lichtstelen halten sie im Halbdunkel. Die Trickfilme haben Untergangsszenarien zum Inhalt, zum Apokalypso-Manga wird an den Keyboards und den Drums, später mit Trompete und gestrichener E-Gitarre begleitet.
Die niederländische Gruppe GGGOLDD (vormals Gold) aus Rotterdam, die anschließend die Bühne übernimmt, bedarf hingegen keiner inszenatorischer Denk- oder Merkwürdigkeiten, obwohl Soundset und Light-Design optimal konzipiert aufeinander abgestimmt sind.
Elektronische Gewichte an Gitarren und Bass werfen mit der unablässigen Ramme der Perkussion einen schwer treibenden Malstrom auf, in dessen Mitte die Stimme von Milena Eva sich elegisch dem sinistren Sog entzieht und aus den Tiefen immer wieder emporsteigt mit den traumhaften Bewegungen eines Astralkörpers. Sie ist das Zentrum dieses musikalischen Quasars. Sie ist das Gedächtnis der Delusion. Mit dem aktuellen Album „This Shame Should Not Be Mine“ hat die Band mit dem luziferischen Charisma der Sängerin bereits Festivals regelrecht beherrscht.
Nach gut zwei Stunden nehmen die beiden Gitarristen Takaakiro Goto und Yoda Platz auf zwei Hockern und los geht’s. „Riptide“ von der aktuellen LP Pilgrimage of the Soul lädt mit anmutigem Drone-artigem Picking ein zum Betrachten des Panoramas. Falls sich dabei eine Gruppe von Touristen eingeladen fühlte, die herrliche Landschaft vom Sky-Scraper ihres Kreuzfahrt-Liners zu begutachten, schon entsteigt mit den Maschinen-Drums von Dahm Majori Cipolla der alles verschlingende Leviathan der hübschen, pittoresken Bucht und verschlingt alles, was noch nicht seinem aus Menschen gebildeten Körper hinzugefügt war.
Nicht umsonst begeisterte sich bereits ganz zu Anfang ihrer Karriere der große Jazzmusiker John Zorn für dieses Mäandern der harmonischen Bewegungen. – Immer wieder urspringend, sich selbst erzeugend und sich gleichzeitig selbst fressend wie im Mythos von der kosmischen Schlange „Ourobouros“. Im Gegensatz zu GGGOLDD setzen die Japaner nicht auf eine Transfiguration der menschlichen Existenz, alles beherrschend ist die amoralische Vitalität des Wilden, der Wahn der Kreation. Mögen die Irrlichter von Balladen wie bei „Imperfect Things“ mit ihren „Pillowy Elektronics“, wie so schön in „Allmusic“ zu lesen stand, kurze Momente einer heilen Welt suggerieren, die Eruptionen eines sich immer wiederholenden Ursprungs, fegen alles hinweg. – Außer der Wildnis in unser eigenem Denken.