Rückblick KLANGfest 2022
10 Jahre lang war das „Klangfest“ im Gasteig am Rosenheimer Berg ein fester Termin im Kalender von Musikfans jeder Altersgruppe über München hinaus. Dann legte eine aus bekannten Gründen notwendige „Verschnauf“-Pause für mehr als zwei Jahre das gesellschaftliche und vor allem kulturelle Leben lahm. Dies geschah zu einer Zeit, in der noch dazu der Umbau großer Kulturinstitutionen, auch den Gasteig betreffend, anstand. Vor zwei Jahren war bereits klar gewesen, dass ein erstes postpandemisches Klangfest nicht im Gasteig stattfinden würde können, wie ebenfalls auch klar war, dass nur das Werksviertel-Mitte imstande wäre, über 30 Bands an einem Tag den Auftritt zu ermöglichen.
Und so kam es dann auch: Am Sonntag, 11. September, sah man mittags die ersten Besucher mit Kapuzen sich auf dem Gelände orientieren, den Soundchecks auf der Spur, das Programm mit 32 Bands, die dicht getaktet auf vier Bühnen zu erleben waren, in der Hand. Es schüttete ein paar mal kräftig, das gab´s auch früher öfter an Pfingstsonntagen auf dem Rosenheimer Berg.
Very charming.
„The Lone Dining Society“ meistert den trübgrauen Start in diesen Tag der Live-Musik unter einem tröpfelnden Rig mit dem wunderbaren Charme von Vaudevillians, die auf der Zeitreise ihres kleinen Theaters schon von den Großeltern der Flower-People über das Feeling einer zukünftigen Bay Area gehört haben mussten. In ihrer heiter Cabaret-artigen Mischung aus 2 Vokalstimmen, Geige, Mandoline, Trompete, Posaune und Rhythmusgruppe streifen sie in einer Magical Mystery Tour Frank Zappa, David Byrne und Talking Heads nicht ohne die 70er und 80er auf schillernde Weise um ein weiteres zu „retrofizieren“. Very charming.
Energisch.
Mit der Lebensfreude der Band um Ian Chapman samt schöner Sängerin im großen Roten hellte sich der Himmel auf und wir schauten schnell zu den „Federnelken“, die schon mittsommers auf der Freilichtbühne zu hören waren. Ihr Debut „Endlich reich“, für das sie den Genrebegriff „vom Hirschbachstüberl zum Mittleren Ring“ kreierten, startete punktgenau zu den ersten scharfen Coronamaßnahmen, ließ sie aber nicht nach Lenggries umkehren. Sie bissen sich durch die FFP2-Masken durch und sind wieder da auf dem Asphalt harter Riffs, aus dessen Rissen Sängerin Vroni Gast ihre Texte wachsen lässt. Energisch.
„Spui´maNovas“ machen derweil Kulturen-übergreifende Stimmung mit Bagpipe und Hurdy-Gurdy (Drehleier) und verschiedenem Rockgerät und decken das sich ansammelnde Publikum auf dem Knödelplatz mit ihrem Credo ein: „Auseinander und wieder Zamm“. Das Wetter ist immer noch etwas instabil.
Duftendende Klänge.
Im Theater Werk 7 müssen sich Augen und Fotoapparat erst mal an die Dunkelheit gewöhnen. Aber das ist ok, denn der hohe Raum mit den 700 sportlichen Schalensitzen lässt sich so auf die unteren Ränge der U-förmigen Tribüne verkleinern. Nebenan unterhalten sich die Klangfestmoderatoren Michaela Kühnemann, Oliver Hochkeppel, Dirk Wagner, Jürgen Jung und Michael Grill leise mit Musikern nach ihrem Auftritt, während der Inder Amid den Sound seiner Holzquerflöte probt. Gemeinsam mit Atta an der E-Mandoline werden die beiden die Raga-Idiome vorgeben, auf die der Bläsersatz bestehend aus Altsaxohon, Baritonsaxophon, Querflöte und Flügelhorn mit herrlichen Satzlinien antwortet, die an Abdullah Ibrahim erinnern. Afro-arabische Teppiche, eng geknüpft, samtig leicht, ohne die sonst so überbordende String-Virtuosität. „JISR“- Initiator Mohcine Ramdan an seinem Gembri-Bass, zusammen mit einem ruhigen Shuffle am Schlagzeug und den balkanesich gefärbten Einwürfen des Akkordeonisten lassen einen mit halb geschlossenen Augen wegdriften. Klänge, die geradezu duften.
Überhaupt entfaltet das Werk 7 Theater an diesem Tag in der Folge einen wahren Fächer an Jazz-High-Lights: „Liliath“ mit Sängerin Miriam Arens, die Pianistin Shuteen Erdenebaatar, die mit Nils Kugelmann einen Shooting-Star am Bass dabei hat und „The Munich Lab Band“, eine Big Band von Felix Ecke und Vincent Eberle, die neue Pfade in den Parnass der E-Musik geht. „World.Wide.Wig“ aus der Unterbiberger Familie Irene und Franz Himpsl drehen unter anderem mit Marja Burchard, der Tochter des „Embryo“-Gründers Christian Burchard, und dem Drummer Magnus Dauner ein großes Weltenrad mit viel Jazzenergie und schließen da ab, wo „JISR“ begonnen hatte.
Großartig!
Unbedingt müssen wir aber schnell in die Nachtkantine, wo wir gerade noch Stefan Sterzinger erwischen. Auf der intimen Bühne sitzt ein Mann in den Sechzigern mit Akkordeon, den die Aura der poetischen Gelassenheit umgibt und der Liebeslieder singt. Tanzma, tanzma – singma, singma! Er „woar do scho wieder I, aber jetzt brauchi di.“ Die Liebe ist ihm nicht ausgegangen, er begegnet der Schönen mit den blitzenden Fäusten am Osiacher See und sie tanzen. Dazu braucht es keinen Regen und keinen dazu gehörigen Bogen, keine Umgebung, nur die Eingebung zweier Herzen im „Heckdeckerl-Blues“. Großartig!
Haidhausener Americana.
Gleich danach Mario Knapp mit seinem Projekt „Mobile Ethnic Minority“. Mittlerweile besteht das ehemalige Trio nur noch aus ihm. Aber für ihn gilt, was Handke einmal sagte: Seit ich einsam bin, bin ich ganz. Seine zart-rauhe Stimme hat Weite, er unterzieht die Gitarre auf eine eigene Art ganz den Textbewegungen, nichts läuft über das andere hinweg. Das hat einen Hauch von Instabilität, dennoch endet jedes Lied mit der Gewissheit einer festen Form. In englisch gesungen mit Wurzeln bis zu Woodie Guthrie: Haidhausener Americana.
Also noch mal an die Luft, und da fährt einem gleich der Sound von Buck Roger & the Sidewalkers in die Strümpf. Was hat diese Band für eine sensationelle Entwicklung hinter sich! Ein prächtiger 4-Mann-Bläsersatz coloriert kraftvoll die Songs des spacigen Frontmanns, das klingt mal cubanisch, mal nach Louis Prima und geht so gut ab, dass die Leute am Schluss sich an der Bühnenkante drängen. Und weil leider der „Sound of Thunder“ aka Willy Michl aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig abgesagt hatte, bekam Buck Roger eine Verlängerung, weil es eben gerade so gut groovte. Der nachfolgend eingeplante Dr. Will musste sich also mit seinen Wizards im Cateringraum noch eine Limo aufmachen. Aber es wäre nicht Dr. Will, wenn er nicht mit seinem bärbeissig-magischen Louisiana-Grant das Publikum in den Abendstunden gehalten und wahrlich entzückt hätte. Uffff! Dann geht’s jetzt also selig heim und mit den Gedanken bei Willy Michl, dem wir alles Gute wünschen, geben wir uns beim neuen Stand „Ois Wurst“ eine leckere Bosna.