Was bleibt einem in den Zeiten von Corona? Die Liebe? „Die Liebe in Zeiten der Cholera“ von Gabriel Garcia Marquez kann man in den Zeiten der Quarantäne mit viel Vergnügen lesen, finden wird man sie derzeit in einer distanzierten Wirklichkeit eher nicht. Also nachdenken, am besten über die Zeit nach der Epidemie – oder Verschwörungstheorien konsumieren, Fallzahlen stündlich abgreifen, Facebook zum Hauptlebensinhalt machen? Bitte nicht.
Wir möchten stattdessen hier diesen Moment der Entschleunigung nutzen, um zurückzublicken auf die Geschichte dieses Geländes nach dem Jahreswechsel 2002/3, als aus dem Kunstpark Ost die Kultfabrik wurde.
Gibt es ein Nachtleben nach dem Kunstpark Ost?
Wolfgang Nöth, Mathias und Gabi Scheffel wollten also nicht weiter verlängern? Warum eigentlich?
Da wurde nichts publik gemacht, es war einfach so. Man hörte zwar gelegentlich etwas von einem Rückgang der festen Büro-Vermietungen und einer Verärgerung über ständig neue städtische Auflagen, wie sie zu Beginn jeder Verlängerung Standard waren. Aber das kommt einem dünn vor.
Oder war sich Nöth sicher, dass der Kunstpark Nord auf der Fröttmaninger Heide entstehen würde? Aber so kam es ja nicht, da entstand nur das neue Stadion. Sicher, der Wochenendboom war wohl etwas rückläufig, aus unglaublichen 45.000 Besuchern waren es vielleicht 25 – 30.000 geworden.
Rave-Events gab es mittlerweile überall in der Stadt, das legendäre kleine Ultraschall zehrte nur noch von seinem internationalen Ruf wie Donnerhall aus den Zeiten des Flughafen Riem – ein bisschen Routine hatte sich vielleicht breit gemacht.
Trotzdem, das Gelände war immer noch verrückt. Wenn man morgens um zehn Uhr ins Büro ging, wo jetzt das WERK1 steht, sah man am Freitag die Trance-Beglückten aus dem Natraj Temple zwischen Wasserhähnen, Bad-Armaturen und Handyschalen durch den Flohmarkt schwanken.
Aber es war nicht zu ändern, der KPO machte nach zweimal 4 Jahren Zwischennutzung Schluss und mit einem Feier-Feuerwerk, dem fett beworbenen Countdown der letzten hundert Tage hob sich Europas größtes Party-Areal nach acht Jahren Laufzeit in den Stand der Legende.
Es gibt ein Nachtleben nach dem Kunstpark: die Kultfabrik
Ein neues Team zog in die ehemalige Sanitätsstation am Eingang Grafinger Straße 6: die Eventfabrik GmbH.
Während eines schwierigen Sommers 2003 reiften dort, in dem eingeschossigen Flachbau, vor dem Eingang zu „Europas größter Partymeile“ die ersten Maßnahmen, Ideen zur Strukturverbesserungen, weg vom düsteren Schmuddelimage des „Party-Ghettos“. Von den 33 Clubs des Kunstpark Ost waren zunächst nur 18 übrig geblieben.
Die Gebrüder Faltenbacher, Gründer der Milchbar, waren auf das Optimolgelände gezogen und hatten ihr elegantes „Stars“ hinterlassen, das schon im Kunstpark Ost einen neuen Stil geprägt hatte. Der neue Stil der architektonisch anspruchsvollen Clubs, setzte sich dann in der Kultfabrik fort. Bald waren es wieder 25 Clubs. Disko sagte man übrigens nicht mehr.
Das Rauchverbot dieser Jahre brachte neue Betreiber dazu luxuriöse Outdoorbereiche mit schönen Terrassen zu konzipieren, wie das „Koi“ in den Räumen des ehemaligen Stars neben dem gemütlichen Roses. Einen der schönsten Clubs präsentierte Taoufik Lyagoubi mit seinem „Rafael“ in einer Kombination aus mondänem Lifestyle und Feierlaune.
Die Disko wird zum Club. Mehr als abtanzen, ein Lebensstil
Ein Paukenschlag war 2006 die Eröffnung des Q-Clubs. Dazu wurde der Raum des alten Babylons auf mehreren Ebenen in eine Sci-Fi-artige Partylandschaft mit 4 Areas, 11 Bars und Q-Garden mit millionenschweren Einsatz umgebaut. Liveacts, diverse Events und Mottoparties wechselten regelmäßig und brachten dem Gelände jedes Wochenende die ersten tausend Partyfans. Der Q-Garden war einer der beliebtesten Treffs Münchens bei der Fußball-WM 2014.
Das „Apartement 11“ wurde erfolgreicher Nachfolger der Milchbar. Im „Boomerang“ feierte man the Way down under, Cohibar und Kalinka waren begehrt wie zu Zeiten des Kunstparks. Der „Titty Twister“ und Eddys Rock-Bar hatten ihre Heavy Metal- und Hard Rock-Fans.
Romeo Maramigmi, der legendäre DJ der Deep Space-Night eröffnete sein „NOX“ in den heiligen Hallen des ehemaligen Ultra-Schalls. Bei Electro-Lounge und harten Two-Step, ständig wechselnden Programmen hielt das „NOX“ die Raver der alten Zeit auf dem Gelände und so wurden entgegen allen Unkenrufen die Jahre nach der Sonnenfinstenis (2000) mit der neuen Kultfabrik zu Jahren eines regelrechten Tanz-Wirtschaftswunders.
Das Werksviertel nahm Kontour an
Wochenende für Wochenende standen andere Mottos auf dem Programm und unter allen All Areas, wie dem alljährlichen Jubiläum, den Männerabenden mit Micaela Schafer, den Sommerfesten und den Trachten-Party-BBQs, neben Helium-Karaoke und Julia Siegel an den Plattentellern, florierte das Gelände bis nach 2015 keine Verlängerung mehr möglich war und das Werksviertel Kontour annehmen sollte.
Neben all dem war Sauberkeit und Sicherheit ständig verbessert worden. Auch viele Wünsche des Bezirksausschusses, bezüglich Lärmbelastung, wurden berücksichtigt.
Aus dem „Colosseum“ war die „TonHalle“ geworden. Der in acht Jahren bierverklebte Boden war erneuert worden. Auch wurden die ganze Bühnentechnik und ein angegliederter Backstage-Bereich erneuert. Alles was hip war in diesen Jahren war auf der Bühne, Katy Perry, Franz Ferdinand, Prodigy, Kaiserchiefs, Sisters of Mercy, Travis und Fall out Boy.
Das alljährliche Halloween wurde zur Nummer eins unter den All Areas. Nirgendwo wurde dieser Kulttag vor All Saints fantasievoller gestaltet. Ein charmanter Geisterbahn-Parcour ohne Vergleich. Für das Metropolis, die Kultstätte des Doom und Death Metal, lagen bereits die Pläne des Technikums in der Schublade, ein weiterer Schritt in a newer future to come, doch darüber ein anderes mal.
Autor: Michael Wüst