Eine Welle der Kreativität, eingespannt zwischen Antike und Astrophysik
Dabei hat er etwas von einem Magus, so wie er Theologen, Poeten und Astronomen zusammenschaut, ihre Aussagen vernetzt und figuriert und codiert, mal assoziativ, mal logisch. Sein ästhetischer Universalimus hat die Elastizität einer Welle, die eingespannt ist zwischen Antike und Moderne, dem Zentralfeuer des Ptolemäus und der dunklen Materie der Astrophysik.
2nd Life in der whiteBOX, 2010 ©Ugo Dossi
Die leuchtende Klarheit seiner Bilder ist geprägt vom Bewußtsein über den Doppelcharakter, das Oszillieren von Logos und Chiffre. – Ein durchaus geschichtlich durchgängiges Thema, hier verfransten sich bereits Theologen des 13. Jahrhunderts im Universalienstreit.
Göttlicher Logos oder Zeichen, Signifikant?
Der Streit großer Denker wie Anselm von Canterbury und Meister Eckart bestand in aristotelischer Rigidität darin, sich zum einen oder anderen bekennen – zu müssen: Zum Wort als göttlichem Logos, althergebrachter Standpunkt, oder zum Wort als Zeichen für das Ding in der Welt, damals moderner Standpunkt. 700 Jahre später kam man in der Welt des Allerkleinsten Photonen bei einem äußerst schillernden Verhalten auf die Spur.
Ugo Dossi ©Ugo Dossi
Die Lichtbringer kennen nämlich kein Weder-Noch, sie bevorzugen eher ein Mal so – Mal so. Alternativlos alterieren sie. Die Entdeckung des Licht-Doppelcharakters von Welle und Materie, bereits von Newton vermutet, müsste an sich ein schwerer Schlag für die Anwälte des Unverrückbaren sein.
Vom Crash der Geozentrik zur Unbestimmtheit der Quantenphysik
Aber da haben wir wohl noch Zeit. Runde 400 Jahre vergingen doch bis der Vatikan Galilei rehabilitiert hatte, der zusammen mit Kopernikus den Herren, die die Welt aufteilten, das dicke Brett der Geozentrik von der Stirn genommen hatte. Ugo Dossi, Gnostiker im ursprünglichen Sinn, fühlt sich bestätigt und aufgefordert.
Wie Bruder Umberto Eco arbeitet er an der Dekonstruktion der Geschichte, kratzt an den Klitterungen, ist eben auch ein Worttaucher. Von jeher glaubt er, dass die Entwicklung der Humanität sich in ihren Chiffrierungen und Codes selbst vorausahnt, vorausschreibt, ja vorausplant.
Venezia ©Ugo Dossi
Das Unbewußte, als offenes System, ist notwendig unbestimmend, um die freie Kombinatorik der Elemente im semantischen Feld, ihre Selbstorganisation, ihr Codierungsspiel – um die Emergenz des Neuen zu provozieren.
Die 22 Trümpfe, Arkana der Macht
Eines Neuen, das Dossi im Alten bestätigt findet. So reift ein langjährig angepeiltes Projekt. 2011 stellt Dossi die 22 Trümpfe des Tarot, die großen Arkana in der whiteBOX aus. 2012, aus Anlass der documenta 13 werden 13 dieser Motive in nahezu lebensgroßen Leuchtkästen in einem hermetisch anmutendem Turm, im Rondell an der Schlagd mit dem Titel „Second Life, Allegorien und Archetypen“ ausgestellt.
2nd Life in Kassel ©Ugo Dossi
Die Gestaltung folgt grundsätzlich dem Marseiller Tarot, der im 18. Jahrhundert europaweit bekannt wurde. Die Figuren daraus, die Päpstin, der Tod, der Magier, der Turm, die Welt usw., werden kommentiert, paraphrasiert und weitergelenkt mithilfe Dossis eigenem über die Jahre erworbenen Zeichensystem: Symmetrische Körper, Automatisches Zeichnen, Strudel, Abgründe und Himmelsfahrten. Statt Zahlen verwendet Dossi sehr körperliche Punkte, Kugeln wie mesmerische Kraftzentren.
Das Kaleidospop des Trismegistos, Ficino und die Neuplatoniker
Die Bilder sind in den Leuchtkästen übereinander gelegt im Wechsel von transparent und opak. Die Gesichter des Marseiller Tarots verströmen Alter mit leichter Verblichenheit. In vertikaler und horizontaler Anordnung und in Triaden angeordnet, ermuntern die Bild-Meditationen zur Kombination wie beim Karten legen.
Im Turm, in den Kästen, in denen die Bildelemente wie Prospekte eingeschoben scheinen, wirkt jede Ausstellung wie der momentan erstarrte Moment eines Maschinentheaters. An flachen Wänden wie das Kaleidoskop des Trismegistos. Als Künstler-Magus, der linearen Chronologie kritisch gegenüberstehend, reizen Dossi Durchschüsse durch die offiziellen Sedimente der Geschichte.
In den Neuplatonikern Marsilio Ficino und Pico de Mirandola, führenden Köpfen der Renaissance im 15. Jahrhundert, in Diensten der Medici, entdeckt er den Umgang mit den Archetypen des urzeitlichen Corpus Hermeticum. Das Werk des mythischen Demiurgen Hermes Trismegistos hat Ficino gegen 1463 übersetzt, nachdem es aus Byzanz, das an die Osmanen verloren gegangen war, nach Italien heraus gekommen war.
Ficino hat auch mehrere Werke Platons übersetzt wie den Phaidros und das Gastmahl oder Trinkgelage des Trimalchio. Der Liebes-Dualismus Platons wird bei Ficino und später Giordano Bruno erweitert zu einer erotologischen Tiefenpsychologie des Universums.
Verdunklung durch die Gewalt der Kirche
Aber die Einflüsse des Corpus Hermeticum und des kosmopolitisch gefärbten Neuplatonismus werden der Kirche gefährlich, mit der Verbrennung von Giordano Bruno am 17. Februar 1600 in Rom vollzieht die Kirche den höchstmöglich brutalen Akt. Es ist die Hinrichtung des vielleicht größten Geistes der Renaissance.
Lichtsicht ©Ugo Dossi
Im folgenden Chaos der Reformationskriege, schließlich des 30jährigen Krieges, gehen Gnostiker und Neuplatoniker in Deckung, tarnen sich. Gnostik verwildert (wieder?) ins Ekstatische, Sexualmagische. Die Verdunklung der ursprünglich universellen Geistigkeit nennt sich nun Okkultismus und wird gesellschaftlich attraktiv im Salon der Madame Blavatsky im Paris des 19. Jahrhunderts.
Es entstehen Geheimgesellschaften, Rosenkreutzer, Freimaurer, verschiedene OTO´s (Ordo Templis Orientalis) und führen in ein 20. Jahrhundert des „Tu was du willst, sei das einzige Gesetz“. Ein langer Weg vom Spiritualismus der Spätantike zur Sexualmagie und zum Sadismus des selbsternannten Antichristen Aleister Crowley.
Automatisches Zeichnen liquidiert die Kontrolle des Ichs
Ugo Dossi kam 1996 als erster Künstler von der Praterinsel in den Kunstpark Ost, den KPO. Auf die Frage nach dem Grund für den Wechsel, sagte er, er wolle nicht als Spitzweg enden. Von dem neuen Gelände ging damals schon etwas aus, was man heute gewohnheitsmäßig mit dem unscharfen Begriff urban bezeichnet. Man fragt sich nur, wann sich die Stadtwerke in Urbanwerke umtaufen.
ORA Juni und Februar ©Ugo Dossi
Wir haben uns jedenfalls schnell angefreundet, meine Besuche in seinem großen Atelier im alten WERK3 wurden immer zu einem großen Vergnügen: Hier atmete man die Freiheit der Kreativität, geschöpft aus einem Pool von Szientismus, Mystizismus, Theologie, Philosophie und Kosmologie. Großformatige Arbeiten aus einer Serie Automatisches Zeichnen standen dort neben düster faradayischen Röhrengebilden, mesmerischen Apparaten nach Franz Anton Mesmer, dem heute teilweise rehabilitierter Begründer des Animalischen Magnetismus.
Die unwillkürlichen Entladungen der Zeichnungen stehen in der Tradition der Écriture automatique“, einer psychotherapeutischen Methode,um unter Hypnose die Kontrollen und Blockaden des Ichs zu überwinden. In den 1920er Jahren experimentierten Surrealisten um André Breton und Philippe Soupault mit dieser Methode. In Trance-Seancen entstehen bei Dossi mit einem speziell kugelgelagerten Stift zarte Figuren und Bewegungen, die eine Fülle von Assoziationen anbieten.
Wieder zurück bei den alten Fragen der Zukunft
Die neuen Arbeiten sind von einer herrlich neuronal-kosmischen Eleganz. Die ORAcles sind als monatliche Orakel auch auf Instagramm zu sehen. Bei allem Vergnügen angesichts der dekadenten Absonderlichkeiten okkulter Prominenter, Hochstapler und alchemistischer Roßtäuscher, namens Graf von St. Germain, dem Unsterblichen, Casanova oder Cagliostro, der adligen Schickeria der Grausamen um den Marquis de Sade – heute steht für Ugo Dossi im Mittelpunkt seines Schaffens, den Bogen erneut zu spannen von einem Meister Eckart, Marsilio Ficino, einem Giordano Bruno und ihrer Universalität zu den Fragen der Astrophysik im Lichte von Geist und Materie.
William Blake: “If the doors of perception were cleansed every thing would appear to man as it is, infinite.“
Weitere Infos zu Ugo Dossi gibt es auf seinem Instagram-Kanal oder im Blogbeitrag zu Homegrown in der whiteBOX.
Text: Michael Wüst
Bilder: Ugo Dossi