In Erwartung des nahen Konzerthauses auf Werksviertel-Mitte finden seit mehr als drei Jahren auf dem Gelände ausgesuchte Klassik- oder E-Musik-Veranstaltungen statt. Das erste Mal, kaum war die neue Konzerthalle Technikum eingeweiht, schlug gleich ein Weltstar auf: Meisterkurse mit Yo Yo Ma.
Seitdem sind hier eigene Reihen regelmäßig zu Gast wie „Stars and Rising Stars“, die „Hörbar“ der Münchner Symphoniker, alles mögliche, was sich zwischendrin die Symphoniker des Bayerischen Rundfunkorchesters so einfallen lassen und auch der Internationale Musikwettbewerb der ARD München ist diesmal zum zweiten Mal in der whiteBOX, zu einer Matinée am Sonntag, 15. September.
Zahlreiche E-Musik-Veranstaltungen im Werksviertel-Mitte
In den Fächern Violoncello, Klarinette, Fagott und Schlagzeug spielten die Gewinner Friedrich Thiele, Joë Christophe, Andrea Callacchi und Nozomi Hiwatashi das erste Mal die Auftragskompositionen von Martin Smolka, Mark Simpson, Milica Djordjević und Younghi Pagh-Paan.
Dazwischen, kaum um sich genießerisch zurückzulehnen, kammermusikalisch Hochkonzentriertes von Henri Dutilleux, Francis Poulenc, Camille Saint-Saëns. Die Schlagzeugerin Nozomi Hiwatashi spielte nur die Auftragskomposition von Younghi Pagh-Paan.
Kammermusikalische Highlights, ganz nah erlebt
Nach den einleitenden Worten von Martina Taubenberger und der künstlerischen Leiterin Meret Forster, ging es los, zügig, ohne jedes Brimborium, allein die Musik stand im Raum. Die whiteBOX bietet dem Hörer einiges und verlangt gleichzeitig dem Solisten viel ab. Nie sitzt man näher an den Musikern, man spürt ihren Atem, hört jedes Nebengeräusch, die Klappen von Klarinette und Fagott, das Einschwingen von Resonanzen und Flageolets beim Cello.
Alle, inklusive der Schlagzeugerin sind wahre Meister der leisesten Töne. Die beiden Holzbläser kontrollieren ihre Ansätze völlig unglaublich. Joë Christophe bringt manche Töne aus dem lautlosen Nichts so geschmeidig in unsere Welt, dass ihnen die Magie, das Mysterium des Nichts noch anzuhängen scheint. Wenn es ein plötzlich auftretender Virtuositätsbrecher bei „Three pieces for clarinet“ von Mark Simpson erfordert, setzt Joë Christophe kurz die Zirkularatmung ein, um sich mit genügend Luft zu versorgen.
Das Allegro tristamento von Francis Poulencs Sonate für Klavier (Kazue Weber-Tsuzuki) und Klarinette hat als „melodisches“ Motiv atonale Sechzehntel, als Scharnier zwischen Dur und Moll. Ganz unaufgeregt, eher anschmiegsam.
Ein faszinierendes Spiel mit dem Irregulären
Das ist natürlich auch Poulenc geschuldet. Wer vom Vorurteil, dass Atonalität zickig sei, nicht wegkommt, hätte hier die Möglichkeit sein Urteil zu revidieren. Andre Callacchi hat es sich mit dem Fagott, dessen innere Resonanzen sicher nicht leichter beherrschbar sind, wahrlich auch nicht leicht gemacht.
Nachdem er ein Füllhorn von raffinierten Linien mit optimaler Kultur aus der Feder des raffinierten Camille Saint-Saëns (Sonate G-Dur, Op. 168) ausgeschüttet hatte, wagte er sich an ein Stück der Komponistin Milica Djordjevic (nailing clouds for basson solo). In der jähen Entladungskompositorik der Serbin, als würden immer wieder Sprungfedern aus aus dem gemachten Tonbett herausknallen, scheint er nichts reparieren zu können, allein er zitiert das Chaos meisterhaft.
Die Auftragskompositionen erlauben dem Hörer keine Genießerhaltung
Schnarrend verschmutzte Multiphonics, sirrende Flageolets wechseln mit Sekunden von weichen Tönen, die alsbald wieder unter mikrotonalen Überlagerungen zu leiden haben. Das geht bei ihm nicht nur an den bekannten berüchtigten Stellen, sondern anscheinend überall. Auch ein Meister auf diesem Gebiet ist Friedrich Thiele am Cello. Es scheint keine Stelle auf dem Steg zu geben, wo nicht resonierende Quinten, Quarten, Oktaven zusätzlich evoziert werden könnten.
Stählern, sägend, nervenchirurgisch bei Henri Dutilleux´“3 strophes sur le nom de sacher“, hart existentialisch in einer Welt von Bartok zu den Teufeln von Loudon. Am Schluss müsste jetzt das Schlagzeug kommen, man erwartet einen längeren Umbau. Nein, nur umdrehen! Dort steht auf der anderen Seite bereits Nozomi Hiwatashi hinter ihrer asiatischen Schießbude.
Die Basstrommel im Rücken mit der Ferse in der Fußmaschine geschlagen, vorne heraus tiefere Trommeln, alles umgeben von gestimmten Aufschlaghölzern, Metall, Gongs, Blech, wispernden Gehängen aus Stäben verschiedener Hölzer. Man empfindet zwischen dem Sonoren und dem schnalzenden Metall die aufgewühlte fernöstliche Seele unter der ruhenden Maske des weißen Gesichts zum dunklen Ton.
Alle Infos zum 68. ARD Musikwettbewerb gibt es unter www.ard-musikwettbewerb.de
Text und Bild: Michael Wüst