Am Samstag, 13. Juli, eröffnete in der whiteBOX die Medienkunst-Ausstellung „Pandora´s Box Opened„. Kuratiert wurde sie wieder von Benjamin Jantzen, der bereits mit „Everything is a Remix“ und „Selfciety“ gesellschaftliche Phänomene mit Kunstformen der Digitalität spiegelte. Künstliche Intelligenz, die sich schon kraft Eigennamens KI sprachlich als real existierend zu legitimieren scheint, wird hier in Verbindung gesetzt zum Mythos der Büchse der Pandora.
Im griechischen Mythos bestraft Zeus mithilfe Pandoras, die die Büchse öffnet und alles Schlechte und alle Qual in die Welt kommen läßt, die Menschen für den Diebstahl des Feuers durch Prometheus, den Lichtbringer, den Luzifer der Griechen. Der Mythos, der auf mehreren Sinnebenen spricht, wird theologisch auch dahingehend gedeutet, dass gerade im Erkennen von Gut und Böse die Freiheit des menschlichen Bewusstseins begründet liegt. Der Preis für den technologischen Fortschritt durch die Beherrschung des Feuers ist die Verurteilung zu schmerzhafter Erkenntnis. Damit verbunden ist der Ursprung der Ethik als Merkmal der menschlichen Intelligenz.
„Von künstlicher Intelligenz geschaffene digitale Kunst“ ist der Untertitel der Ausstellung und führt in die Irre, provoziert. Und natürlich, es handelt sich nicht um ein Show-Case smarter 4.0-Living Rooms mit gutaussehenden 3D-Druckern, die alternde Gliedmaßen mit Gin Tonic servieren, genauso wenig geht es um notorische Dystopien von autonomen Waffensystemen an den Grenzen Europas. Eigentlich ist es Vexierspiel mit der Identität. Die Künstler Timo Dufner, Bhautik Joshi, Martin Backes, Kyle McLean und Swen Seyerlein tun so, als wären sie selbst nur die Kuratoren einer verborgenen, numismatisch kreativen KI. Der tägliche Umgang mit der größten universellen Kraft, der elektromagnetischen, hat unseren Sicht auf Identität geändert. Wir erleben die Immersion in anderen Feldern und Entitäten und begreifen die Innen- und Aussengrenzen unserer Körper nicht mehr ausschließlich materiell, physisch. Gewissermassen trägt die elektromagnetische Bindungskraft, die uns erst physisch erscheinen lässt, das zunehmende Wissen darüber, einen transzendentalen Impuls in sich.
Vor Timo Dufner stehen zentral drei Monitore aus der Sicht von Drohnen-Piloten im Raum, wie sie auch in Deutschland an den Joy-Sticks in Ramstein bedient werden. Mit den Zielauffassungen hat Timo Dufner seinen Machine Learning Algorithmus kombiniert, der zu den Zielauffassungen eigene Sounds generiert. Der Blick auf den Blick des Drohnenpiloten scheint den Raum der whiteBOX um 90 Grad in die Tiefe zu drehen. Der Medienkünstler, der sich bei der KI akkreditiert hat, taucht in Hard- und Software, mal User, mal Player und spürt Glitches, Programmfehler, auf. Vielleicht begegnet er ja einmal Schrödingers Katze.
Ebenso von Dufner ist das Bild einer Kamera mit Gesichtserkennungsprogramm gleich rechts vom Eingang. Hier werden über die Tage der Ausstellung Gesichtsmerkmale der Besucher gesammelt und je nach Häufigkeit und Ähnlichkeit zu einem neuen Gesicht aus allen Gesichtern zusammengebaut. Urheberrecht nach DSGVO kommt hier nicht zur Geltung, es wäre nur zu fragen, ob das kollektive Gesicht der Ausstellungsbesucher, zur Fahndung ausgeschrieben, eine Festnahme zur Folge haben könnte. Von Martin Backes, in der Mitte des Raumes, steht wie der mechanische Willkommens-Gruß-Onkel eines Jobcenters oder sonst eines deutschen smarten Verwaltungsgebäudes „What do machines sing of“. Beinhart an der Scherzgrenze, wenn die viereckige, schwarze Schaufel zum elektronischen Gedudel von Whitney Houstons Megahit „I will always love you“ zu singen versucht.
Hier kannst du sein, hier lass dich nieder. Böse Menschen kennen keine Lieder. Von Bhautik Joshi ist „2001 – A Picasso Odyssey“. Die Methode des „Neural Style Transfer“ verwandelt Bilder aus Kubricks berühmtem Film „2001. Odyssee im Weltraum“ mit dem kubistisch wilden Strich Picassos. Wir sehen mit den Augen Picasso‘s den Astronauten Bowman, wie er den Mega-Computer Hal 9000 Zug um Zug abschaltet. Bowman hatte schon mehrere neuronale Blöcke des Computers abgeschaltet und der Computer versucht Bowman von seinem Vorhaben abzubringen: „Hör auf“, „Ich habe Angst“ und vor allem „Ich fühl mich schon viel besser“. Ein frühes Beispiel für die Regeln der Compliance, wie sie nicht nur für moderne Betriebe mit Menschen, sondern auch für künstlich Intelligente gelten: In Zweifelsfragen oder bei Überforderung gilt es einfach höflich zu bejahen und zu lächeln. So geschehen beim Interview des humanoiden Roboters Sophia, mittlerweile Staatsbürger Saudi-Arabiens mit Bürgerrechten, im März 2017 durch den Entwickler David Hanson selbst. Der fragte spaßeshalber: „Wirst du die Menschen zerstören?“ Sophia antwortete:“ Ok, ich werde Menschen zerstören“ und lächelte.
Das Interview, das Benjamin Lantzen besonders gern mag, ist auch in der whiteBOX zu sehen. Ohne explizit Stellung zu beziehen in der einen oder anderen Weise, Richtung Utopie oder Dystopie, bietet die Ausstellung gute Anreize, über die Sache an sich nachzudenken, liegt doch schon im Begriff der künstlichen Intelligenz, KI, ein grundsätzliches Missverständnis. Seit den Turing-Tests der 50er Jahre hat man begonnen den Popanz der KI aufzubauen. Verehrung und Furcht mischen sich geradezu biblisch in diesem Begriff, obwohl KI eigentlich nur ein Buzzword, ein Zischen, ein Wortbruzzeln aus der Welt des Comics ist.
Aber was die Wirtschaft wachsen lässt, darf heute auch auch als intelligent bezeichnet werden. Digitalität ist mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs und saugt wie ein schwarzes Loch alles an Daten in sich auf. Das muss wohl Intelligenz sein. Aber so schnell der Hase auch läuft, am Ziel steht immer ein Igel. Was dieser schnelle Hase mit der digitalen Roadrunner-Lichtmaschine nicht verbergen kann: Künstliche „Intelligenz“ kann nicht die Qualität der Kausalität durch die Quantität der Korrelation ersetzen. Und auch kein Wissenschaftler hat das je behauptet.
Wie lange müsste dieser Hase wohl auf pfeilgeraden Linien Euklids durch das Universum jagen, immer grußlos vorbei an jenem Igelbau, in dem Meister Einstein sitzt und die Formel für die allgemeine Relativitätstheorie gut lesbar hochhält? Eine Formel, die der Astrophysiker und Mathematiker Josef M. Gaßner in seiner fabelhaften Reihe „Von Aristoteles zur Stringtheorie“ aus Galileis Überlegungen zu Inertialsystemen auf einer kleinen Schultafel in einer Stunde mathematisch herleitet. Kausal, bewiesen. Die Prozessoren der KI bräuchten eine Lebensdauer von Jahrzehnten, von Jahrhunderten? Da zerbröselte schon längst das teure Lithium. Aber vorher könnte man sich noch etwas vorsingen lassen wie in „2001. Odyssee im Weltraum“: Fly me to the Moon. Under my Thumb. I did it my way. Griechischer Wein. KI-Karaoke.
Text: Michael Wüst
Aufbereitung: Corinna Böck
Fotos: Michael Wüst