Um 19.30 Uhr am 26. Juni 2019 ist es immer noch sehr heiss. Auf der Rampe des WERK3 versammeln sich Künstler, Journalisten, Kreativwirtschaftler, Kuratoren und interessierte Münchner. Daneben dreht sich träge das Riesenrad Hi-Sky. Der illustre Auflauf gilt dem ersten Kunstpreis Rampe, gestiftet von der whiteBOX und dem Künstlerbedarf boesner, der heute offiziell der Malerin Angela Stauber verliehen wird – ein Festakt, wie es in der Einladung heisst, mit der Enthüllung des dreimal 2,40 m messenden Quaders, der noch unter Packpapier verborgen ist.
Sebastian Book von boesner, Sektion Bayern, begrüßt die Gäste. Gerade im Jahr des 30jährigen Jubiläums von boesner ist Book besonders erfreut mit diesem Preis den Startschuss zu geben für eine ganze Reihe von Rampen-Kunstpreisen, die da noch folgen sollen, um damit die innere Verbundenheit des fördernden Fachhandels boesner mit der whiteBOX darzustellen. Zusammen sollen die beiden Institutionen den Nucleus, den kreativen Hot-Spot des Viertels, das zügig in die Höhe wächst, bilden, betont auch Martina Taubenberger, die Leiterin der whiteBOX. In 20 Jahren, mit dem 20. Kunstpreis Rampe sieht sie da schon einen Skulpturenpark vor dem inneren Auge.
Aber vor der Enthüllung des ersten steht noch die Laudatio. Die wird gehalten von Claudia Kreile, Kuratorin des Franz-Marc-Museums, Kochel. Die Welt ist im Wandel. Es ist keine Zeit mehr, den Umbau abzuwarten, die Veränderung selbst wird zum begehbaren Event. Dem Werksviertel ist ja bisher das Kunststück gelungen, seit Beginn der Baumaßnahmen durchgehend im Spielbetrieb geblieben zu sein. Arbeitswelt, Müßiggang, Kräne, Konzerte, Betonguss und Kunstgenuss. In einer Zeit, in der die Arbeit im Digitalen verschwindet, dominiert auf dem Gelände geradezu archaisch ein Furor der analogen Gewerke-Technik. Cafés neben Baugruben, Startup Hubs, Coworking – Currywurst, Timeline – Takt und Hard Rock und Bienenzucht. Der Wandel selbst begeistert schon mindestens genauso viel wie ein Endergebnis, falls es das überhaupt geben soll. In hektischer Betriebsamkeit duckt man sich weg vor aufziehenden Menetekeln am Horizont und wuselt sich durch die Module der Smartphones. Verweile doch, du bist so schön! Der Loop erfüllt gern den Wunsch und Maschinenmusik probiert es jetzt mal zwischendurch mit dem KI-Komponisten. Apocalypso der Algorythmiker.
Bildende Kunst wirkt darin wunderbar und so weltfremd kontemplativ! Die Stille des Bildes kann gar nicht durch den Baulärm übertönt werden. Diese Stille ist bescheiden und doch bestimmt, sie relativiert auch nicht, und sie verrät eigentlich auch nicht woher sie kommt. Vielleicht verrät sie es doch, und wir hören es nur nicht. Angela Stauber hat auf den vier Seiten ihres Bilderwürfels „Interna“, Szenen einer Welt im Wandel fixiert, auf Plexiglas-Scheiben mit Fensterfolien und Acrylfarbe. Der Kubus steht auf Europaletten. Die Szenen nehmen das Licht auf und spielen es sich zu, Vorder- und Rückseiten springen, wir drehen uns, der Würfel bleibt stehen, dreht sich aber doch. Abends wird der Kubus von innen aufgeleuchtet, er wandelt sich, wird kompakt. Claudia Kreile verweist auf die „Transformation der Stadt“, eine Reihe von Linolschnitten und Zeichnungen aus denen die Stadtplakate „Die Reflexion der Stadt“ entstanden sind. Dafür hat sie 2014 den „Leonhard- und Ida Wolf-Gedächtnispreis der Landeshauptstadt München“ bekommen. Grafik und Malerei, im Geschnittenen und Geklebten der Fensterfolien und im Strich der dynamischen Acrylfarbe, interagieren opak und licht in einem gleichwohl sehr ruhigen Spiel. Eine Figur mit rotem Helm ist ganz bei sich, versunken, der Arbeitswelt enthoben, vom Fortschritt befreit. Eine Figur aus einem Oskar Schlemmer-Bild oder aus dem Playmobil-Set eines Kindes? Verrat es nicht. Und ja, ein Rekord ward gebrochen: der 26. Juni war mit 38,6 Grad in Brandenburg der nunmehr heißeste Tag in Deutschland seit Beginn der Messungen.
Text: Michael Wüst
Fotos: Ivana Bilz (URKERN), Angela Stauber, Michael Wüst