Großes Glück mit dem Wetter hatte die 19. Lange Nacht der Musik am 28. April. Vergangenes Jahr beim ausverkauften Konzert der Band Table for Two in der Nachtkantine hatte es noch geschneit. Großes Glück also für das Werksviertel-Mitte, wo doch der besondere Reiz darin besteht, auf Plätzen und in Passagen zu lustwandeln und sich niederzulassen. So war die Freifläche der zentralen Wirtschaft „Zum Riederstein“ auf dem Knödelplatz bereits ab dem späten Nachmittag gefüllt. Da wo der Knödel rollt, gönnten sich bereits Stunden vor der Vorstellung von „Fack ju Göhte – Das Musical“ die Fans die erste Halbe „Gustl“.
Das Musical, das im neuen WERK7 Ende Januar gestartet war, war unter den 400 Events an 100 Spielorten, neben dem Faust-Festival einer der heißesten Tipps der LNdM. Aber auch im Container Collective sonnten sich in den Liegestühlen die urbanen Freizeitler oder sie probierten die erfrischenden Salate des neueröffneten hawaianischen „Aloha Poke“, vor dem Christian Kirschstein beim Soundcheck seine Vorliebe für Sinatra-Songs erkennen ließ.
Gemischter konnte man sich das Publikum wahrlich nicht vorstellen. Zwischen den Nischen-Freaks der Container City bahnten sich ältere Konzertgänger bereits den Weg, um zum ersten Konzert der Mitglieder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks im Technikum zu gelangen. Wie bei allen bisherigen Veranstaltungen des BRSO war auch hier das Technikum wieder andächtig gefüllt. Aus Anlass des Großevents hatte man augenzwinkernd Ludwig van Beethovens „Gassenhauer-Trio“ gewählt. Da hätten die Munich Flames mit „Roll Over Beethoven“ mit gebührendem Abstand ein paar Häuser weiter gut dazu gepasst. Die Münchner Seniorenrocker bereichern seit geraumer Zeit das Jugend-Kinder-Festival in bester Paul Würges-Manier.
Ein paar Häuser weiter, genau gesagt auf der anderen Seite des WERK3 befindet sich die kunst-Werk-küche der Wiesnwirtin Katharina Inselkammer. Ein sehr spezielles Projekt! In der nachhaltigen Deli-Wirtschaft wird alles täglisch frisch und aus regionalen Quellen zubereitet. Normale und besondere Mitarbeiter betreiben in dem integrativ-inklusiven Projekt auch einen Catering-Service. In dem urgemütlichen Raum mit Ledersesseln schmeckte es den Gästen ganz außergewöhnlich. Dazu spielte das Duo Frau Wax, später noch mit dem Saxophonisten Andreas Maron. Die Sängerin Tini Wax brachte Eigenes und schöne Balladen wie „Fragile“ oder auch Souliges wie „Masquerade“. Bei „That´s Why I Say Goodbye So Gladly“ erinnert ihre melancholische Phrasierung ein bisschen an Björk. Unprätentiös, poetisch. Geschmackvoll.
Wer aus diesem charmnten und beschaulichen Deli sich wieder ins Getümmel begab, konstatierte jetzt einen enormen Zulauf an eindrucksvoller impressiv eng gekleideter weiblicher Schönheit. Man war verwirrt und verlor mehrmals die Brille. Die pompösen Chicas mit ihrer gefährlichen Erotik wirkten als könnten sie einen Kaiman roh verschlingen. Sie waren dabei auch ein wenig verwirrt, hielten es aber dennoch für unter ihrer Würde, jemanden um den Weg zu fragen. Salsa, Bachata, Cha-Cha und wenig bekannt, Rueda de Casino, in Kursen und mit der schon wohlbekannten Band von Antonio Guerrero war kurzfristig von der Nachtkantine ins Onstage des WERK9 verlegt worden.
Zum allgemeinen Catwalk gesellten sich nun auch noch die Fans von Ceca, der Claudia Cardinale des Balkans, die wenig später in der Tonhalle ihr Mikrofon in Brand setzen sollte. „Ceca Nacionale“, wie immer Stuckartig stark geschminkt, trat während der Zeit des Jugoslawien-Kriegs schon vor 150.000 auf und war als Gefährtin des zwielichtigen Arkan dmals schon eine serbische Ikone. Das Konzert war allerdings nicht Teil der LNdM.
Wem also der erotische Druck zu groß wurde, der ging in die whiteBOX, genauer gesagt in das Gastatelier im dritten Stock. Dort projizierte VJ Pixelschubser mit Daniel an den Noise-Reglern meditative Strukturen. In einer sehr langsamen Dramaturgie entfalteten sich in Mustern, die mal textil wirkten, mal an Steinschnitte erinnerten, sehr kurze bildliche Botschaften an subliminaler Grenze. Das Video verführte einen, Dinge zu sehen, die wohl im eigenen cerebralen Archiv schlummerten. War da ein Schädelknochen? Ein Scull? Im Zoom auf Kalabriens Stiefelspitze der peitschende Schlag eines Alligatorenschwanzes? Hinter dem Pixelschubser verbirgt sich Benjamin Lautzen, der in der whiteBOX bereits die Ausstellung „Everything is a Remix“ und „Selfciety“ vorstellte und ein Meister subtextueller Chiffres ist.
Mit freierem Hirn wieder zurück auf dem Knödelplatz und beim ersten eigenen Gustl im Riederstein, ließen wir zuletzt den urbanen Menschenmix an uns vorüberziehen. Eigentlich verwunderte es jetzt nicht, dass sich daneben vor dem Eingang des N8 Modul nun schwarze Latexschönheiten, Testosterongladiatoren und weißgekleidete Marineoffiziere aufbauten. Kinky! Ein bisschen Sin City war also auch dabei. Was macht eigentlich die Bienenzucht auf dem Dach des WERK3?