Mit GRAFFITIMUSEUM:INVENTARIUM eröffnete am 26. Januar die erste Ausstellung des Jahres in der whiteBOX. Wer sich nicht schon vorher ein bisschen informiert hatte, was ihn da erwarten würde, war wahrscheinlich zuerst einmal leicht perplex. Aber Kurator und Mitbegründer des Berliner Graffitimuseums Aljoscha Begrich konnte in seiner Einführung da schon einiges klären. Mit gepflegter Lässigkeit und dem ästhetischen Vorsprung im Konkreten erklärte er diese neuerliche Raumversion der whiteBOX.
Ein Schreibtisch mit Computer, dahinter das Handy-Bild eines Graffitis, eine ansprechende Sitzecke mit Couch, ein Plattenspieler, ein kleines, adrettes Bücherregal, eine hübsche Standpflanze aus günem Papier und vor allem an der großen Wand gegenüber, zahlreiche gelbe Karteikarten, auf denen die Buchstabenkombinationen von Tags, den Sprayer-Signaturen, notiert waren. INVENTARIUM ist also ein begehbares Büro. Später brachte er noch den interessanten Begriff „metaphorisches Büro“. Begehbarkeit ist ja auch ohnehin eine eine recht wichtige Voraussetzung für einen Ausstellungsraum.
Aber Aljoscha Begrich ist nicht alleine GRAFFITIMUSEUM:INVENTARIUM. Neben ihn gesellte sich nach kurzer Zeit der Außendienstarbeiter Joachim Spurloser mit weißer Dienstweste und Jutesäckchen. Der kam gerade vom Außendienst. Leicht erschöpft. Seine Aufgabe ist es, wie schon in anderen Städten vorher, die zahllosen Graffitis, vor allem mit ihren hieroglyphischen Tags in der Stadt fotografisch aufzunehmen, einzulesen, und als Graffotis (fotografierte Graffitis) an das Büro zu schicken. Keine leichte Aufgabe, der frühe Einbruch der Dunkelheit ist nicht gerade hilreich, immer noch sind Zensoren unterwegs, die Graffitis überstreichen, ganz zu schweigen von plötzlich eintretenden Gebäudeabrissen, die einen unvorbereitet treffen.
Signaturen auf bewegbaren Gegenständen und Fahrzeugen sind ein weiteres mögliches Problem für die textuelle Stadterfassung. Wände, die von Sprayern stark begehrt werden, erfordern eine sozusagen archeologische Behutsamkeit. Man hat es mit regelrechten Palimpsesten beim Freilegen der einzelnen Schichten zu tun. Je nun, die Ausbeute kann sich bereits zur Eröffnung sehen lassen. Zusammen mit Innendienstarbeiter Wartenberg, der sich bei der Einführung aus seinem Arbeitsbereich dem Einführungsgespräch angeschlossen hat, haben beide bereits seit dem 19. Januar in Residendschaft an der Herstellung des INVENTARIUM gearbeitet.
Stefan Wartenbergs Aufgabe bestand und besteht darin, eine erste Vorentzifferung der Tags vorzunehmen. Kronen, Schleifen, Tentakel, Verschlingungen und andere Glyph-Elemente müssen bereinigt werden, bis die Buchstabenfolge klar auf die Karteikarte zu bringen ist. Das zunächst sinnfreie Textkonvolut wird dann kartografisch und lexikalisch geordnet und im Computer hinterlegt.
Dieser tägliche Direktionsdienst kann parallel zu den Öffnungszeiten der whiteBOX bis zum 4. Februar täglich von 10 bis 18 Uhr vom Publikum verfolgt werden. Eine erste Auswertung ist angestrebt, dann am 4. Februar in Form einer Lesung respektive Deutung. Möglich, dass sogar ein genuin münchnerischer „Tonfall“ entdeckt wird. Oder ließe sich darüber diskutieren, dass in unseren Zeiten der überbordenden Massen von Worthülsen die Tags die aus vormalig sinnvollen Aussagen entschwundenen Wortkerne sind? Wir wissen es noch nicht. Das metaphorische Büro hat jedenfalls seine Arbeit aufgenommen. Wir berichten weiter.
whiteBOX, GRAFFITIMUSEUM:INVENTARIUM, täglich 10-18 Uhr. Lesung Sonntag 4. Februar 2018, 16 Uhr.