Am Samstag, 10. Dezember kommt mit Martin Kohlstedt ein Pianist ins Technikum, der in der Lage ist, den Klangkörper des Flügels zu dramatischen Dömen seines Inneren wachsen zu lassen. Seit seiner neuen CD „Strom“ verstärkt er in der Erforschung des komplex schwingenden Klaviertons mit seinen überlagerten Frequenzen, aus dem Minimalen heraus beschwörend mit provozierenden Ostinatos, den Aufbau seiner monumentalen Klanggebäude zusätzlich mit Keyboards und Elektronik.
Was er mit den Vorgängeralben „Tag“ und „Nacht“ bereits bewiesen hat, dass er das Klavier singen lassen kann, das heißt, dass er mit den natürlichen Feedbacks, den Resonanzen, den Flageolets der Saiten zu spielen vermag, hat er nun unter Hinzunahme der Stromfrequenzen zu einem neuromantischen Epos erweitert. Er kriecht in den Flügel, greift hinein, dämpft Saiten und kompromitiert den angeschlagenen One-Note-Beat mit leichten Alterationen seinen harmonischen Umfelds. Romantisch, ja, weil das etwas mit den schillernden Sphären der Seele zu tun hat. Seelenmusik also, die vom privat scheuen Erleben sich aufrichtet bis zu pathetischer, manchmal bedrohlicher Größe, in dem die Egos der Zuhörer verschmelzen mit dem seinen. – Natürlich, um alsbald das Ganze wieder zurück zu bauen, zu dekonstruieren, aufzulösen. Per aspera ad nirvanam. Ein Nirvana der universalen Schlichtheit kehrt wieder ein.
Sein unglaublich differenzierter Anschlag erinnert manchmal an Großmeister Keith Jarrett. Der minimalen melodischen Bewegung entlockt er wie der Meister etwas Hymnisches. Bereits auf dem diesjährigen Reeperbahnfestival begeisterte er mit „Currents“, einem Multimedia-Werk aus analogem und digitalen Tastenton und 360-Grad projizierten Formwelten. So verwundert es einen nicht, dass die Show des jungen Mannes aus Breitenworbis in Thüringen, der in Leine an der Musikschule mit dem Fach Jazz begann und Medienkunst in Weimar studierte, zwei Tage nach dem Konzert im Technikum in der Elbphilharmonie im großen Saal bereits ausverkauft ist.