Vor wenigen Tagen ist an mehreren Stellen der Stadt die whiteBOX-Kunstaktion „Corps in Situ in City“ aufgetaucht. Die Künstlerin, Tänzerin und Bühnenbildnerin Aline Brugel hat Plakate von Menschen in Kisten in die Fassaden von Münchner Häusern eingefügt. Und das punktgenau, so dass die Plakate wirken, als wären sie mit ihren Körpern, in situ, also in einer vorgefundenen Ausgangslage, selbst ganz körperlich ein Stein in der Gebäudehülle. Dicht gedrängt durch die Fotosituation in der Kiste blicken die Menschen eingebaut, mal gelassen, mal ironisch, aus den Häuserfronten auf das Leben in den Straßen.
Alles nur Fassade?
Ein kleiner Parcours durch die Stadt, der uns einen Blick hinter die Fassade zu geben scheint und uns gleichzeitig Architekturgeschichte vermittelt. Im Zusammenspiel mit den Passanten ergeben sich spielerische Situationen von oft heiterer Komik. Seit Ende Juli hat Aline Brugel im Gastatelier der whiteBOX, in Residency, Tänzer des Kollektivs „C´est par où la danse“ und Protagonisten oder „Siedler“ des Werksviertels fotografiert, um sie als lebensgroße Bausteine in die Stadt einzufügen. Eine Kooperation mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist ebenfalls geplant. Die menschlichen Bausteine werden bis Oktober zu sehen sein und münden dann ein in eine Ausstellung zum Thema „Body & Urban Space“, die Mitte September in der whiteBOX eröffnet. Die Fassade ist, wie schon der Wortstamm „La Facciata“ sagt, das Gesicht eines Hauses.
Bis zur Moderne wandten die Häuser mit ihrer architektonischen Physiognomie sich dem Leben auf den Straßen zu. Glaskörper der 60er Jahre und spätere Stahl-, Glasmenetekel der Finanzkraft verschleierten ihr Gesicht oder wandten es gar ab. Die Gesichtslosigkeit des Zeilenbaus wurde mit Grünanlagen bemäntelt. Heute kehrt man aber wieder verstärkt zur Fassade zurück. „Alles nur Fassade“ gilt nicht mehr für die heutige Architektur. Es ist nicht die Maske, sondern das Gesicht, was zählt. Genau dies erreicht ganz leichtfüßig Aline Bruger mit ihren Arbeiten. Die Säulen vor dem alten Bau der Stadtsparkasse im Neorenaissance-Stil laden mit ihren Rahmen- oder Lisenen-Strukturen geradezu ein, dort einen Menschenkörperstein einzufügen. „Nasenstein“, „Gesimse“, das waren Merkmale eines Hausgesichts. Man werfe einen Blick zurück. Da ist es wiederum köstlich, die mit den Scheuklappen ihrer Regenschirme bewehrten Touristen zu sehen, die durch die Passagen „in situ“ eilen.
Am Platzl posieren neben dem Hard Rock Café drei in den Bühnenuniformen der 60er Jahre zusammengeschobene Protagonisten der frühen Glam Rock-Zeit wie Nachfahren von „The Lords“.
Und in der Rumfordstraße ist ein unbekannter Leser unter dem Druck der Literatur aus der Buchhandlung über ihm, etwas bedrängt und sucht nach einem Ausweg. Ein weiterer Ausdruck von Corps in Situ. „Flanieren ist eine Art Lektüre der Straße“ steht auf dem Schaufenster der Buchhandlung.
In der Böhmlerpassage der Ledererstraße erinnert uns ein Paar an den oft vergessenen Reiherbrunnen von Elmar Dietz aus dem Jahre 1955. Der Reiherbrunnen, ein wiederkehrendes Brunnenmotiv. In der Regerstraße steht auch einer. Aline Brugels Menschenbausteine erinnern uns daran, dass die Stadt uns nicht nur mit den Augen des Konsums anschaut, sondern auffordert zu verweilen, stehen zu bleiben und aus der Geschichte den Blick in unsere Gegenwart aufzunehmen. Sehr elegant, sehr dezent und doch sehr wirksam. Für den, der sich noch die kindliche Freude des Entdeckens bewahrt hat.