Die Ausstellung heißt „Geheimnis“ – und verrät damit zunächst einmal, dem Wortsinn nach, semantisch standesgemäß, nichts. Immerhin wussten wir, dass sie am 29. September in der whitebox eröffnen würde und eine illustre Schar von Gästen im Foyer schien das Wissen um dieses Geheimnis mit uns zu teilen. Man fühlte sich fast ein bisschen geehrt, Träger eines Geheimnisses zu sein, dessen Message man allerdings gar nicht kannte. Geheimnisträger ohne Kenntnis, vielleicht gibt´s das ja auch.
Jedenfalls, als man sich also der geheimen Box weiter näherte, war man weiterhin irritiert, wenn auch angenehm. Im Eingang zur Halle war in warmem Magenta ein Foyer eingerichtet mit Info-Tisch, an dem keine Vertreter der Artificial Intelligence saßen, sondern freundliche Ausstellungs-Stewardessen, die lächelten. Über zwei Eingängen stand „Öffentlich“, beziehungsweise „Privat“, man hatte also die Wahl, ob man über den öffentlichen oder privaten Fußabtreter in artigem Magenta eintrat.
Die ebenfalls Magenta-farbenen Pantoffel, links davon, vor einem weißen Schrank mit wahlweise aufgemalten Fächern und echten Schubladen, waren angeklebt, das ahnte man bereits. An einer weißen Garderobe hing fakemäßig ein leerer Kleiderbügel. Eine leichte, feine Ironie machte sich breit, wenngleich auch hier nicht klar war, worüber sie lächelte. Im Hausflur, so nennen wir mal den ersten Gang, hingen im Stile gerahmter Lebensweisheiten und mit delikat schwungvollen Schrifttypen Zitate vom Kulturphilosophen Byung-Chul Han bis Martin Luther zum Thema Geheimnis. Und spätestens hier begann sich das Geheimnis der Magenta-Box mit dem informationellen Wohngefühl zu lüften. Denn in diesem Projekt der Nemetschek Stiftung geht es darum, in einem begehbaren Diskurs über das Phänomen des Geheimnisses in Gesellschaft und Politik, in der Familie, im Job, in der Kirche, im Journalismus, die Besucher anzuregen, zu Information, Kommunikation und schließlich nicht zuletzt zu Bürgerteilhabe zu gelangen.
Erklärtes Ziel von Stiftungsgründer Ralf Nemetschek ist es generell, die Demokratie als Gesellschaftsmodell zu stärken, beizutragen, das risikoreiche Double Bind von Demokratie und Kapitalismus in kreativer Kontroverse konstruktiv in Schach zu halten. Denn selbstverständlich, und so demonstriert es die Ausstellungen in diversen Installationen, stellen Verschlüsselung, Kryptologie, Algorithmen, digitale Ausspähung ernste Probleme für die Freiheit dar – aber eben auch eine Chance, repräsentiert in der Konterfigur des Whistleblowers oder Netzaktivisten.
Silke Zimmermann, Projektleiterin und Referentin des Vorstands, bringt uns jetzt zu einer Station mit dem Thema „Veröffentlichung von Plenardrucksachen des Bundestages seit 1949“. Neben einer Palette mit gestapelten Kartons, die uns einen Eindruck von der Papier- und Informationsmenge geben, steht ein Lesegerät, auf dem ein Beispieldokument aus der 18. Wahlperiode liegt, das ebenso an die Wand projiziert wird. So, wie der Bürger allgemein gegenüber solcher physischen Info-Lawine reagieren mag, reagieren auch die Gäste der Ausstellung: Zu viel, keine Zeit, Überforderung. Überforderung, die gerne auch unterstellt: Alles nicht öffentlich. Das Gegenteil ist der Fall, alle diese Dokumente, bis vor kurzem waren es über 130.000, sind öffentlich, auch im Internet, frei zur Einsicht. Teilhabe ist eben nicht nur eine Dienstleistung des Staates, sondern gefragt ist auch die Initiative des Einzelnen.
Nach dieser eher gewichtigen Position kommen wir in den schönsten Raum. Das sei mal so simpel unkritisch gesagt. Denn es ist eine große Leistung des Teams um Silke Zimmermann, dass das überwiegend didaktische Ansinnen des Projekts eine so attraktive, schlüssige und leichte Ästhetik gefunden hat und diese konsequent moduliert. Wir befinden uns jetzt in einer Begriffslandschaft, in einem Wortraum, sind wie in naiver Spielfreude in die Welt des Buchs, der Schrift, in die Landschaft der Versalien eingetreten. Zeichenberge, Buchstabentäler, Schriftwolken. Wir folgen mit Schlüsseln, die auf herabhängenden Pappkameraden zu finden sind, der Dechiffrierung, kommen zu Erklärungen symmetrischer und asymmetrischer Verschlüsselung, zur Kryptologie allgemein.
Man denkt an Enigma und die U-Bootfilme zu dieser Verschlüsselungsmaschine der Deutschen im 2. Weltkrieg. Ein weiterer Raum fragt, wie stellen wir unser das geschützte Heim vor, an anderer Stelle füllen wir Bewerbungs-Fragebögen aus, hinterlassen sie den nächsten oder schreddern sie doch, oder hören uns die Geheimsprache Jugendlicher an der Gamestation an. Am Schluss gehen wir zu, auf eine Reihe von Ohren, in serieller Linie. Sie gehören Vater, Mutter, bestem Freund, Geschwister, Arbeitskollegen, Seelsorger. Man dreht sich um: aha, steht er ja am Ende, der Beichtstuhl. Und eine Tür, schwarz und verschlossen. Die macht mir Silke Zimmermann auch nicht auf. „Selbst“ steht da darauf.
Geheimnis, whitebox, Atelierstraße 18. Donnertags 10-20 Uhr, Freitag bis Sonntag 10-19Uhr, noch bis 30. Oktober. www.geheimnis-ausstellung.de