Hans Prokop, der langjährige Geländemeister des Pfanniwerks, war die ersten Jahre nach dem Ende der Kartoffelära seinem alten Arbeitsplatz treu geblieben und ging mit Rat und Tat nun fortan den Discobetreibern vom Kunstpark Ost zur Hand, wenn sie verzweifelt nach Strom oder Wasser riefen oder die Heizung nicht in Gang bekamen. Dafür stand der Schlierseer jeden Morgen zu unchristlicher Zeit auf und fuhr mit dem Zug weiter gewohnheitsmäßig zum Ostbahnhof.
Ohne ihn wäre auf den All Area Events von „Europas größter Partymeile“ einiges daneben gegangen. Als er einmal zu den ersten Tagen des KPO interviewt wurde, erzählte er von dem Mann mit langen weißen Haaren und schwarzer Lederjacke bei einer Geländebegehung.
„Da warn ein paar Typen um ihn herum mit greane Haar und er hat immer genickt und gesagt: Ja wunderbar!“ Natürlich gefiel dem Nöth, Hallenmogul aus Unterfranken stammend, die Kartoffelstadt mit den vielen verschiedenen Gebäuden. In nur wenigen Wochen des Spätsommers 1996 waren im 24-Stunden-Arbeitstakt alsbald die ersten Locations aus dem Boden gestampft, um im Bild der Kartoffel zu bleiben.
Aus dem Gebäude gegenüber der Kantine, dort wo dieser Tage die Bagger für das Fundament des neuen Konzerthauses ausheben, wurde das „Babylon“. Erinnerte die Vertreter des ausgehenden Swinging Schwabings der 70er Jahre an das Schwabylon an der Leopoldstraße, eine kaum ein Jahr nach der Eröffnung erloschene urbane Utopie, gescheitert trotz steilen Multimixes aus Bars, Biergarten, Schwimmhalle, Kunsteisbahn, Galerien, Thermen, Sauna, Solarium, Kino und dem „Yellow Submarine“, umgeben von einem Aquarium mit echten Haien.
Im „Babylon“ dagegen, wo an Wochenenden im „Durchlauf“ über 3000 ihrer Tanzwut Ausdruck verliehen, da waren früher, wie Hans Prokop erzählte die großen „Vermuser“ gewesen, hier wurde damals aus den Knollen Brei. Mag jedem frei stehen, hierin den Genius Loci für eine Disco angelegt zu sehen…
Gewissermaßen bestätigt hat sich solche Raum-Prädestinierung allerdings in einem anderen Fall. Denn da, wo viel später, im Mai 2004, die Kunsthalle whiteBOX eröffnen sollte, wurden laut Prokop Gewürzmischungen hergestellt.
Amüsante Anekdoten – oder doch mehr? In der Tat ist es für den modernen Architekten und Städteplaner, für die heutige Urbanistik sehr wohl von Belang die Geschichte und den Charakter eines Raumes zu erforschen, um ihm nicht zu widersprechen.
Was für jeden Theatermenschen erster Schritt in der Entwicklung einer Bühnenidee ist, gilt heute auch für das urbane Planen. Ein Raum hat durchaus mehr auszusagen als seinen Quadratmeterpreis.
Die Kartoffelstadt.
Sie wurde also in rasantem Tempo zum Übungsplatz der feierwilligen Tanzfeuerwehr. Die 90er Jahre, nach den kritisch-kreativen Protestbewegungen der Neuen Wilden der 80er Jahre, schienen sich abgefunden zu haben mit einem tausendjährigen Reich des Neoliberalismus. Wo nichts zu ändern schien, ging man eben tanzen. Man feierte geradezu, und das dementsprechend extensiv, was man nicht ändern konnte. Ausdruck dieses Paradoxes war der Hyperlativ „Europas größte Partymeile“.
Der Kunstpark Ost, dem größtenteils sowohl die Kunst wie der (Kunst?)Rasen fehlte, behauptete sich mit großem Erfolg darin, nicht das zu sein, was er im Motto versprach, auch wenn der Hallenmogul sehr genau wusste, dass er das Künstlervölkchen mit günstigem Atelierraum locken musste. Ein Exodus von der Praterinsel, angeführt von Ugo Dossi setzte schnell ein.
Zwischen 33 Discotheken mit Tech House und Drum N´ Bass von 130 Beats per Minute arbeiteten in gut 20 Ateliers Maler, Fotografen, Bildhauer und Theaterleute ohnehin lieber bei Tageslicht in einer vergleichsweise idyllischen Ruhe am Ostbahnhof.
Der Kunstpark Ost war am Start und bis zu 25.000 Leute strömten durch die Schinkenstraße wie die Passage zwischen Babylon und Nachtkantine nach Mallorca-Vorbild genannt wurde, und dass er natürlich viel mehr war, als das, was die Werbeleute über ihn posaunten, lesen Sie im Teil zwei, der Zeitreise Pfanni-Werksviertel.