Am Donnerstag, 4. August 2016, zeigte der Schauspieler und Regisseur Cem Kaya seinen Film „Remake Remix Rip-Off. About Copy Culture and Turkish Pop“ in der whitebox. Der Film über das Mainstreamkino der 1960er bis 1970er Jahre in der Türkei und seine „Filmstadt“ Yesilcam in Istanbul wurde bereits letztes Jahr bei seiner Vorstellung in Berlin viel beachtet. Die „Filmstadt“, mehr ein Filmviertel, rund herum um die Straße Yeşilçam Sokağı im Stadtteil Beyoğlu, war das Zentrum des türkischen Studiosystems. Wobei auch das Prädikat `System´ mit Vorsicht zu genießen ist, denn vor allem zeigt der Film in den vielen Interviews mit den Regisseuren dieser Zeit und den aberwitzigen Ausschnitten aus zusammengeschusterten Remakes Hollywoods die skurrilen Improvisationskünste, die damals unter Geld- und Zeitmangel und bei fehlendem technischen Know How nötig waren.
Schlechtes und billiges Negativmaterial wurde zehnmeterweise vercheckt, Dollies gab es nicht, die imposanten Diven organisierten ihren Tand und ihre Kostüme selbst und die Endprodukte wurden mit manchmal bis zu 30 Sequenzen aus anderen Filmen zusammengeschnitten. Manche Regisseure drehten selbst nur ein Viertel des ganzen Films. Der Regisseur Metin Erkan erzählt sichtlich belustigt. Mit 25 Rollen Negativmaterial und weniger machte man damals einen Film.- Weniger als ein Zehntel von dem, was die westliche Industrie standardgemäß zur Verfügung hatte. Zeitweise schrieben drei Autoren bis zu 300 Drehbücher, die sich natürlich nicht sonderlich voneinander unterschieden.
Cetin Inanc drehte einen Film pro Woche. Die Musiken kamen direkt von Schallplatten, gerne zum Beispiel mit den Themen aus „The Godfather“ oder „Raiders of the Lost Ark“. Die amerikanische Filmindustrie hatte keine Urheberrechte angemeldet und innerhalb der Türkei bestanden sie in dem Filmsektor ohnehin nicht. Freiluftkinos mit 4000 Plätzen waren sehr beliebt, man nahm Picknick-Körbe mit, es war laut und lustig -„Frauen reden viel“ – und die Filme erzählten daneben wie die auch beliebten Fotoromane vom armen Knecht, der ein reiches Mädchen liebt oder Geld für die Knochenmarkstransplantation seiner Tochter sammelt oder von den Abenteuern der Eisenfaust „Süperbatmask“, einer Verschmelzung von Super- und Batman.
Keiner sank so schön an einer Hauswand mit Filmplakaten herab wie Superstar Tophaneli Murat, ausgiebig von Kugeln durchsiebt wie in einer schmalztriefenden Dillinger-Version. „Der Mann, der die Welt rettete“ spaltete mit der Handkante Pappfelsen im Dutzend billiger, Tarzan war Tarzan Istanbul´da, würdevoll auf einem Elefanten auf dem Weg in die Arbeit und „Süpermen Dönüyor“ war „Superman Returns“. Der Zoom auf seinen Heimatplaneten Krypton, hindurch zwischen aufgehängten Dekosternen endete eisenhart, gänzlich ungeschönt: vor einer Christbaumkugel. Aus „Der Exorzist“ wurde „Seytan“. Die junge besessene Türkin im sachlich taghellen Pensionszimmer auf schwingendem Federkern mit Plaka-Farbklecksen im Gesicht spie so etwas wie Heidelbeerjoghurt, dass es einem den Kopf umdrehte. Manche Kinos arbeiteten mit einem Double-Feature zweier Projektoren: Mitten in beispielsweise „Korkuruz“ (Der Furchtlose) wurde umgeswitched auf einen Porno. Ein wunderbares, charmantes Chaos – auch wenn einige der interviewten Regisseure schon bedauern, dass sie ernsthafter, künstlerischer nicht arbeiten konnten. Das alles brach Ende der 1970er Jahre zusammen. In der unsicheren Zeit jener Tage, als politische Morde auf offener Straße sich häuften, begann der Rückzug aus der Öffentlichkeit in die Illusionswelt der TV-Soaps. Der Putsch in 1980 und die damit verbundenen Zensuren beendeten Yesilcam. Der türkische Film erstand trotzdem neu. 1982 zeigte der Kurde Yilmaz Güney in Cannes seinen Film „Yol – Der Weg“, für den er die Goldene Palme bekam. Davor war er 11 Jahre im Gefängnis gesessen. Der Film von Cem Kaya endet mit Szenen auf dem Taksim-Platz und im Gezi-Park. Die Proteste wendeten sich unter anderem gegen die Auswirkungen der geplanten Stadterneuerung. Die Kamera schwenkt von den Wasserwerfern auch über ein Straßenschild: Yeşilçam Sokağı.