Am Donnerstag, 28. Juli 2016, stand „Shockwaves“ der Filmerin und Musikerin Kasumi in der whitebox als eine der zahlreichen Sonderveranstaltungen im Rahmen der Ausstellung „Everything is a Remix“ auf dem Programm. Aus 25.000 Clips öffentlicher Archive (public domain) wurden thematisch gleiche Sequenzen ausgeschnitten und mit Hilfe von Looptechnik, Rotoskopie, Stroboskopie und Überblendungen in eine rasende 80-minütige Bilderflut refiguriert, im Sekundentakt, manchmal sogar schneller, selten langsamer.
24 Bilder pro Sekunde benötigt der Film, um das menschliche Auge betrügen zu können und das bewegte Bild entstehen zu lassen, die Kinematik. Falls Kasumi das Tempo auf diese Sequenz erhöhen würde, entstünde aus dem Remix-Material ein Metafilm über den einzelnen Clipelementen. Unvorhersehbar, was wir dann sehen würden. Die thematische Requisite der ausgeschnittenen Kasumi-Bilder bedient sich in Freuds Keller: Tunnel, Schächte, Türen, Fluchten, Fensterstürze, Zimmer, Spalten, Züge, Uhren, Mechanik. Da muss Mensch durch, bestehend aus Mann, Frau, Kind. Das amerikanische Material scheint größtenteils aus den 50er Jahren zu sein. Die Männer tragen Anzüge und Hüte, freuen sich über Messgeräte und Raketen und Autos.
Die Frauen blicken geschminkt in die Ferne oder zurück ins Dunkle oder schleichen mit einer warm leuchtenden Petroleumslampe durch Psycho-Wohnungen. Küsse wechseln mit klirrenden Glas, Rasierklingen, Käfigen, Gittern und Händen, die gefangen nehmen. Die Atmosphäre von Gewalt ist angerichtet. Das erscheint einfach gestrickt, hat aber einen subkutan hinterhältigen Effekt. Es gibt ja genügend triviale Bilder von Liebe, Glück, Wohlstand und pulsierender Großstadt. Nur all diese Idole sind infiziert. Die schönen Frauen haben in ihren wohligsten Momenten das Stigma des Missbrauchs schon an sich, es arbeitet in ihren Zellen. Ihre Augen, die so tief beseelt dem Glück entgegen blicken, ahnen schon die Maske des roten Todes hinter Vorhängen, in Fluchten, Kellern, Schlachthäusern. Der sexuelle Akt wird konterkariert mit einem rumpflosen Beinegehaspel im Kaleidoskop. Possierliche Version eines Snuff-Videos. Und die Männer mit den Hüten und den Knarren strahlen beim Anblick technischer Errungenschaften, sowie wir uns, oder unsere Kinder uns in der Zukunft vielleicht bei der Anbetung von Datenautobahnen sehen werden. Mit vorangetrieben wird das Szenario von einer Stonerrock-artigen Mischung aus Noise und Groove. Die Bilder lügen sich zur Wahrheit. In der groovenden Apokalypse mit eingewebt ist unter den Männern der eine Mann, unter den Frauen die eine Frau, unter den Kindern das eine Kind.
Die Geschichte eines Mannes vor einem Waschbecken, die Hände sich in Schuld waschend. Das Wasser ist die Erinnerung. An den Vater, der im Zimmer des Schweigens vor dem Kind den Gürtel öffnet, an den Tag der Eheschließung, den Verlust der Frau, die Einlieferung in die Psychiatrie. An den Mord an der Frau? Gegen Ende schaut sie uns an. Das Blut auf ihrem Gesicht sieht aus wie Ketchup. Die Welt des Bildes ist eine Lüge. Die Welt selbst. Wir fragen uns, was ist hinter ihrer Erscheinung?